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Handwerk Kein Beruf für Dünnbrettbohrer

Oldenburg - Dieser Beruf ist nichts für Dünnbrettbohrer, nichts für Leute, die immer nur den einfachen Weg gehen: Das zeigt das Beispiel von Marius Kohler, im Jahr 2013 nach dreijähriger Ausbildung bei der Oldenburger Möbelwerkstatt Kirstein & Schubert als Landessieger der prüfungsbesten Tischler ausgezeichnet. Statt in seinem Ausbildungsbetrieb weiterzuarbeiten, nahm der Jung-Geselle die mittelalterliche Tradition der Wanderschaft auf. Die Hälfte seiner drei Jahre und einen Tag dauernden Walz hat er bereits geschafft.

Das zünftige Reisen von Handwerkern war üblich, als die Tischler-Innung Oldenburg gegründet wurde. Sie wurde 1665, also vor 350 Jahren, als „Schnidtger-Gü̈lde“ erstmals in historischen Dokumenten erwähnt. „Die Tischler gehören damit nach den Bäckern und Schmieden zu den drei ältesten Handwerksorganisationen in Oldenburg, die heute noch aktiv sind“, sagt Dirk Räker von der Kreishandwerkerschaft. Ihr Jubiläum will die Tischler-Innung am 9. Juli mit einem Sommerfest beim Oldenburger Yachtclub feiern – in einem bescheiden-bodenständigen Rahmen.

Verhalten geregelt

Es war Graf Anton Günther, der den Antrag auf Gründung einer „Schnidtger-Gü̈lde“ genehmigte. Eine 1693 vom gräflichen Notar Veit Ludwig Megander erstellte 18-seitige Abschrift der Gründungsurkunde ist im Niedersächsischen Staatsarchiv in Oldenburg verwahrt. Das ursprüngliche Original-Dokument von 1665 ist nicht mehr erhalten.

In 31 Amtsartikeln wurden Rechte und Pflichten des Tischleramtes festgelegt. Sie enthielten u. a. die Bedingungen für die Aufnahme in das Amt, die Höhe der Gebühr für die Aufnahme, Wanderzeit, Pflichten des Amtsmeisters, Dauer der Lehrzeit, ja selbst das Verhalten der Meister untereinander wurde schriftlich geregelt. Das Meisterstück hatte für die Aufnahme in die Zunft eine ganz besondere Bedeutung, wobei Meistersöhne aufgrund ihrer Herkunft bevorzugt behandelt wurden. Auch die Abgrenzung zu „Pfuschern“ sei in dem Text hervorgehoben worden, berichtet Räker. Das gilt übrigens heute noch: „Die Innungstischler stehen wie vor 350 Jahren für einen besonders hohen Qualitätsstandard. Der Meisterbrief ist ein Gütesiegel“, betont Obermeister Reiner Huntemann. Dass in der Branche „Scharlatane“ unterwegs seien, erlebe man vor allem im Bereich der energetischen Sanierungen, ergänzt sein Stellvertreter Bernd Martens.

Test klärt Eignung

Heute haben mit Computertechnologien (CNC und CAD) große technische Veränderungen im Tischlerhandwerk Einzug gehalten. Doch trotz aller Technik ist und bleibt handwerkliches Können maßgebend für die Qualität eines Werkes und die Ausbildung von Gesellen und Meistern. „Man braucht mathematische Kenntnisse, räumliches Vorstellungsvermögen, technisches Grundverständnis und Konzentrationsfähigkeit“, zählt Lehrlingswart Ralf Carstens auf. Diese wesentlichen Fähigkeiten, die ein Tischlerlehrling mitbringen sollte, prüft die Innung in einem zentralen Eignungstest, der einmal im Jahr in den Holzwerkstätten Ullmann stattfindet. „Damit wollen wir beide Seiten unterstützen: Die Jugendlichen vermeiden Fehler bei der Berufswahl, und die Betriebe erhalten durch das Zertifikat Auskunft, inwieweit ein Bewerber prinzipiell geeignet ist“, erläutert Carstens. In diesem Jahr hatten von 21 Teilnehmern lediglich zwei ein nicht ausreichendes Ergebnis erzielt.


Etwa 40 Auszubildende beschäftigen die 29 Innungsbetriebe derzeit. Um die Vielfalt bei der Arbeit mit dem, so Carstens, „lebendigen Werkstoff Holz“ erfahrbar zu machen, würden Lehrlinge auch untereinander ausgetauscht. Noch sei Nachfrage nach Lehrstellen da, aber langfristig sieht Bernd Martens im sich abzeichnenden Fachkräftemangel „ein Riesen-Problem“. Hier befinde man sich im Wettbewerb mit der Industrie. Für sein Handwerk hat Ralf Carstens gute Argumente: „Möbel von der Stange – das kann jeder. Wenn es aber individuell und exakt passen soll, kreative Ideen gefragt sind, dann sind wir in unserem Element.“ Auf auf eine Spezies legt man indes keinen Wert: Dünnbrettbohrer.

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