Kleinensiel - Genau wie für seinen Betrieb braucht ein Kernkraftwerk auch für Stilllegung und Rückbau eine Genehmigung. Für das seit März 2011 abgeschaltete Kernkraftwerk Unterweser (KKU) in Kleinensiel (Gemeinde Stadland, Kreis Wesermarsch) liegt diese Genehmigung des Umweltministeriums in Hannover noch nicht vor. Dennoch ist am Sonnabend eine sechsteilige Reihe mit Informationsveranstaltungen zum Rückbau gestartet. Bürger konnten in der Markthalle Rodenkirchen Experten zum Rückbau befragen. Auch Preussen-Elektra, Betreiber des Kraftwerks, unterstützte die Veranstaltung
Veranstalter ist der Kreis Wesermarsch, Geldgeber das niedersächsische Umweltministerium, das 75.000 Euro investiert. Ausrichter ist das Basler Beratungsunternehmen Prognos AG.
Genehmigung steht aus
Deren Mitarbeiter warten ungeduldig auf den Beginn des Rückbaus, sagt Gerd Reinstrom, der Leiter des Kernkraftwerks. Das Organisationsteam für den Rückbau habe seine Arbeit schon am 1. Juli aufgenommen. Für diesen Zeitpunkt war ursprünglich längst die Genehmigung erwartet worden. Die Prüfung doch vieler heikler Fragen verzögert sich. Jetzt hofft Reinstrom, dass der Bescheid noch vor Jahresende eintrudelt – eine Zuversicht, die Atomkraftgegner nicht teilen. Auch wegen des Regierungswechsels in Hannover erwarten sie weitere Verzögerungen.
Wenn die Genehmigung bei Gerd Reinstrom auf dem Schreibtisch liegt, können die Arbeiten sofort beginnen. Der Kraftwerksleiter hofft auf Januar 2018. Auch das kommt bei Atomkraftgegnern nicht gut an, denn die Brennstofffreiheit wird erst für Anfang 2019 erwartet. Derzeit liegen noch 71 abgebrannte Brennelemente im Abklingbecken; die meisten sollen im ersten Quartal 2018 in Castor-Behälter verpackt und ins Zwischenlager für hoch radioaktive Abfallstoffe auf dem KKU-Gelände gebracht werden. Einzelne Brennelemente sind defekt; sie müssen auf besondere Weise verpackt werden, was die Umlagerung bis Anfang 2019 verzögert.
Zunächst sollen konventionelle Komponenten im Kontrollbereich des Kraftwerks zurückgebaut werden, um Platz zu schaffen für das große Aufräumen am Reaktordruckbehälter. Das Unternehmen will ein Reststoffbehandlungszentrum einrichten, das nach und nach ausgebaut wird. Es soll aus mehreren Anlagen bestehen, die radioaktive Kontamination von Geräten und Einbauten entfernen. KKU-Mitarbeiter vergleichen die Kontamination mit Rost, der sich auf Metall legt.
Von Würgassen lernen
Aus den Erfahrungen in Würgassen (Kreis Höxter) und Stade hat Preussen-Elektra gelernt, beim Rückbau zunächst die schwierigen Sachen zu erledigen, damit der Zeitplan nicht ins Wanken gerät. In Würgassen steht das erste deutsche Kernkraftwerk, das in den Rückbau gegangen ist. Vor mehr als 20 Jahren, am 14. April 1997, bekam das Unternehmen die Genehmigung. „Wir dachten, dass es fünf Jahre dauert“, erinnerte sich Kraftwerksleiter Markus Wenzke Anfang August bei einem Besuch von Mitgliedern des Stadlander Gemeinderates. Tatsächlich sind die Arbeiten bis heute nicht abgeschlossen. Der Abbau aller kerntechnischen Einrichtungen dauerte 17 Jahre und wurde am 29. August 2014 offiziell für beendet erklärt. Aber die gesamten konventionellen Bauten stehen noch.
In Kleinensiel haben die Mitarbeiter schon Bestand aufgenommen. Es geht um rund 400 Räume mit 140 000 Quadratmetern, 200 Systeme und 200 000 Objekte.
Gerd Reinstrom betont, dass sich das Kraftwerk im Rückbau in einem eher noch engeren gesetzlichen und regulatorischen Netz bewegt als im Leistungsbetrieb von 1978 bis 2011: „Wir können nichts freihändig entscheiden.“ Jedes eingesetzte Gerät müsse geprüft, jeder Vorgang dokumentiert werden. Prüfer und Gutachter würden nicht vom Unternehmen bestellt, sondern vom niedersächsischen Umweltministerium.
Ein Ziel ist die Verringerung des Abfalls. Er wird vermieden – etwa indem Verpackungen nicht in den radioaktiv belasteten Kontrollbereich gelangen –, verringert – durch Dekontaminierung – und verwertet. So soll der Beton, wenn er freigemessen wird – also eine kritische Strahlenbelastung nachweislich unterschreitet – als Unterbau für Straßen oder zur Abdeckung von Deponien genutzt werden. Am Ende sollen vom gesamten Kontrollbereich höchstens drei Prozent radioaktiver Abfall übrig bleiben.
675 000 Tonnen
Insgesamt müssen 675 000 Tonnen Material entsorgt werden, darunter 193 000 Tonnen aus dem Kontrollbereich. Davon können 176 000 Tonnen nach Einschätzung von Preussen-Elektra freigemessen werden. Weitere 12 700 Tonnen können zielgerichtet freigemessen werden; sie kommen auf eine Deponie oder werden zu Mosaikbehältern für kerntechnische Anlagen verarbeitet. Der Rest wird deponiert. Solange der Schacht Konrad bei Salzgitter als Endlager nicht zur Verfügung steht, werden diese schwach- und mittelradioaktiven Stoffe im geplanten Lager Unterweser für nukleare Abfälle (Luna) auf dem KKU-Gelände zwischengelagert.
Gerd Reinstrom hofft, dass das Bauamt der Kreisverwaltung im November die Genehmigung erteilt; dann könnte der Bau im Frühjahr 2018 beginnen. Am 1. Januar 2020 könnte die Halle dann in Betrieb genommen werden.
Die Öffentlichkeit wird vom Rückbau nur wenig mitbekommen, da zunächst die Anlagen in den Gebäuden demontiert werden. Mit dem Abriss der Gebäude ist nicht vor 2032 zu rechnen.
Der Abriss der Gebäude werde zwei Jahre dauern. Ob alle Gebäude abgerissen werden müssen, steht noch nicht fest. „Das nicht zum Nuklearbereich gehörende große Maschinenhaus bietet mit Gleis- und Wasserstraßenanschluss sowie einem leistungsstarken Kran beste Voraussetzung für eine betriebliche Nutzung. Gleiches gilt für die Werkstatt“, sagt Gerd Reinstrom.
Länger erhalten bleiben die bereits auf dem KKU-Areal stehenden beiden Zwischenlager für die Castoren mit den abgebrannten Brennelementen sowie für die Fässer und Behälter mit schwach- und mittelradioaktiven Abfällen.
Neuer Eigentümer und Betreiber des Zwischenlagers für hoch radioaktive Brennelemente wird zum 1. Januar 2019 der Bund, vertreten durch das neue Bundesamt für kerntechnische Entsorgung. Das übernimmt ein Jahr später auch die beiden Lager für die schwach- und mittelradioaktiven Abfälle. „Dafür musste unser Unternehmen für alle Standorte 10 Milliarden Euro an den Bund zahlen“, berichtet Reinstrom.
400 Mitarbeiter
Während des Leistungsbetriebes waren 340 eigene und ständig rund 100 Mitarbeiter von Fremdfirmen im KKU tätig. Hinzu kamen die 130 Mitarbeiter des Wachpersonals. Dessen Stärke hat sich nicht verringert, jedoch sind derzeit nur noch 185 eigene Mitarbeiter sowie 40 bis 50 Beschäftige von Fremdfirmen tätig. Der Abbau des eigenen Personals werde weitergehen, während das Personal der Fremdfirmen bis auf 250 Mitarbeiter aufgestockt werde. „Letztlich werden wir den Rückbau mit rund 400 Mitarbeitern vornehmen, wovon gut ein Drittel eigene Kräfte sein werden“, erläutert der KKU-Leiter.