OLDENBURG - Er bereist etwa zehn Länder im Jahr. Auch die OECD bedient sich seiner Fähigkeiten.

Von Thorsten Kuchta

OLDENBURG - Sonnenuntergang in Benin. Ringsherum Busch. Dr. Thomas O. Jenisch (45) kaut inmitten einer Großfamilie auf gerösteten Maniokwurzeln. Vollkommene Harmonie. „Aber“, bricht der Oldenburger unvermittelt die Atmosphäre seiner Erzählung, „diese Familie weiß nicht, wovon sie morgen leben soll“.

Jenisch kennt diese Brüche. Sie sind sein Beruf.

Der Mann aus Etzhorn ist entwicklungspolitischer Gutachter. Einer von 40 in Deutschland. Sein Unternehmen TOM Consult begutachtet im Auftrag der Bundesregierung, der EU oder privater Organisationen Entwicklungsprojekte, hauptsächlich in Afrika und Asien. Von seinen Einschätzungen hängt die Zukunft manches Projekts ab.

Jenisch begutachtet, sieht Akten ein, spricht mit den Projektleitern, macht Pläne für die nächste Drei-Jahres-Periode. Er unterhält sich mit Regierungschefs, Weltbankvertretern, Ministern, Unternehmern. Er logiert mal in First-Class-Hotels, mal in Hütten, hat mal Limousinen mit Fahrern, reist mal in alten Landrovern durch den Busch. Immer mit offenen Augen und Ohren, um Effizienz, Nachhaltigkeit und Wirkung der Projekte zu prüfen. Nach den drei- bis sechswöchigen Reisen sitzt er zwei Wochen in Klausur in seinem Büro an der Bollmannstraße und verfasst den Bericht. „Meistens“, sagt er, „folgen die Auftraggeber meinen Vorschlägen“.


Begonnen hat alles mit Fernweh und einem Studium, das in dieser Hinsicht Perspektiven eröffnete: Umweltmanagement und Wirtschaftsgeografie. Noch als Student führt ihn ein Austausch nach Ghana. Mit dabei: Seine heutige Frau Ina. Damit ist der Grundstein gelegt – beruflich wie familiär. Er arbeitet für den Deutschen Entwicklungsdienst, die Gesellschaft für technische Zusammenarbeit.

Als die Kinder kommen, ist klar: „Die sollen in Deutschland aufwachsen“. Er wird („das kann man sich nicht vornehmen, das passiert oder nicht“) freiberuflicher Gutachter, macht sich einen Namen. Heute, nach acht Jahren, schickt ihn auch schon einmal die OECD als Wahlbeobachter in die Ukraine.

Seine Aufträge sind zeitlich begrenzt. Das ist ihm wichtig: „Ich wollte nicht langfristig im Ausland leben – wenn man dort lebt, ist man privilegiert, und das tut nicht allen Kindern gut.“ Für die Bodenhaftung kehrt er immer wieder gern zurück nach Etzhorn. „Wenn man zehn Länder im Jahr bereist, braucht man ein Zentrum – hier habe ich meine Wurzeln“.

Manchmal, das räumt er freimütig ein, fällt ihm das Urteilen schwer. In Somalia beispielsweise, wo er im März Regionalprojekte begutachtete – und wegen wieder aufflackernder Clan-Kämpfe evakuiert wurde. „Die Projekte leiden sehr darunter, und das kostet Geld“, sagt er, „aber wenn wir die Menschen ganz aufgeben, werden Tausende sterben“. Eine Zwickmühle. Vor allem, weil „Somalia zu den Flecken der Erde gehört, auf die die Öffentlichkeit nicht schaut.“

Doch es gibt auch Projekte, auf die er richtig stolz ist. Zum Beispiel, dass er deutsche Firmen in Bangladesch zu Investitionen ermuntern konnte: „Das hat dort eine Menge Arbeitsplätze geschaffen“, sagt er, und, als ob er sich entschuldigen müsste: „Das hat auch deutsche Standorte gesichert“.

Die Globalisierungsdebatte geht an ihm nicht vorbei. Aber er hat ein Credo: „Wir müssen alle daran arbeiten, dass das Wohlstandsgefälle auf der Erde kleiner wird. Sonst flüchtet die dritte Welt zu uns“.

Vielleicht auch die Großfamilie aus Benin.

www.tom-conuslt.com