OLDENBURG - Es waren Zeiten großsprecherischer Reden, die Jahre zwischen dem Beginn des 20. Jahrhunderts und dem Ersten Weltkrieg. Doch der Begriff „Jahrhundertbauwerk wurde nicht für eine Logistik-, Ingenieurs- und Handwerkerleistung ins Feld geführt, die Oldenburgs Entwicklung nachhaltig prägte. Binnen zwei Jahren wurde der Verschiebebahnhof in Krusenbusch aus dem Boden gestampft. Auf dieser ausgedehnten Gleisharfe wurde vor hundert Jahren im Juni 1911 der Betrieb aufgenommen. 1976 wurde er eingestellt.
Wie präzise man plante und arbeitete, verdeutlicht die geringe Abweichung zwischen Kostenvoranschlag und Endabrechnung. Mit 3,1 Millionen Mark kalkulierte man beim Projektbeginn 1907. Nach Baubeginn am 1. März 1909 und dem Abschluss schlugen 3,47 Millionen zu Buche.
Riesige Erd- und Sandmassen wurden in dem moorigen Gebiet bewegt. Doch der Gleis- und Gebäudebau inmitten einer extensiven Industrialisierung in Stadt und Land muss nicht als ungewöhnlich wahrgenommen worden sein. Den in Oldenburg geborenen Hennich Hennings begann vor sieben Jahren die Bau- und Betriebsgeschichte zu reizen. Akribisch ging der heute 74-Jährige die Nachforschungen an. „Doch die Dokumentenlage erwies sich als dürftig, schüttelt er den Kopf. „Und die alten Bahner wussten wenig.“
Den Forscherdrang des Wasserbau-Ingenieurs Hennings, hartnäckig geübt in Bau- und Beratungstätigkeit in mehreren europäischen Ländern, stachelte das an. Jeden Abstecher von seinem Wohnsitz in Buggingen an der Schweizer Grenze zu seiner Zweitwohnung in Oldenburg nutzte er zum Quellenstudium im Staatsarchiv. In vier dicken Ordnern gewinnt so eine Geschichte des wirtschaftlichen Aufbruchs vor einem Jahrhundert feste Umrisse. Dynamisch entwickelte sich die Wirtschaft seit der Jahrhundertwende. Die Glashütte expandierte. Die Fleiwa nahm den Betrieb auf. In den Torfabbau griffen Maschinen ein. Der Handel erlebte enorme Zuwächse.
1906 stieß der Rangierbahnhof an der Braker Bahn an seine Kapazitätsgrenze. 1900 hatte die Großherzoglich-Oldenburgische Eisenbahn (GOE) 1,66 Millionen Tonnen Güter befördert, 1910 waren es 3,48 Millionen, 1912 schon 4,75.
Die Geländewahl für einen Verschiebebahnhof mit mehr als 30 Kilometern Gleislänge fiel auf ein vordergründig unkompliziertes Areal in der bis 1922 selbstständigen Gemeinde Osternburg zwischen Bahnhofsallee und Am Schmeel. Der Erwerb der rund 53 Hektar war ohne Enteignungen möglich.
Bautechnisch erwies sich das Moor- und Heidegelände jedoch als herausfordernd. 900 000 Kubikmeter Sand wurden aus den bahneigenen Gruben in Ganderkesee und Höltinghausen angefahren, um die bis zu 2,50 Meter tiefen Auskofferungen zu füllen.
Die Planung muss perfekt gewesen sein. Alle Anlagen wurden fristgemäß fertiggestellt: Lokschuppen mit Drehscheibe, Werkstatt-, Übernachtungs- und Verwaltungsgebäude, Wasserturm und Versorgungsanlagen, sechs Stellwerke mit allen Seilzügen zu Weichen und Signalen, Gleisanlagen, elektrische Beleuchtung, Güterwagenwerkstatt. „Ein schönes Zeichen für die Leistungsfähigkeit unserer Eisenbahntechnik, vermerkten die Oldenburger Nachrichten am 1. Juni 1911.