Schortens - Handtücher auf dem Kopfkissen, Handtücher neben dem Bett. Handtücher, die helfen sollen, den Schweiß aufzufangen, der Sandra Winter überströmt. Immer dann, wenn sie über das nachdenkt, was nun ihr Leben ist. Oder dann, wenn das Handy piept. Denn die 49-Jährige aus Schortens ist Opfer von Internet-Betrügern geworden.
Illegale Geschäfte unter dem Namen „Sandra Winter“
Mit Tricks, höchst professionell, haben sie sie in die Falle gelockt. Haben ihre persönlichen Daten, ihre Bankdaten, ihre Identität gestohlen, ihr Konto abgeräumt und ihr Handy gehackt. Mit der geklauten Identität betrügen sie nun andere – und nutzen Sandra Winters Daten für ihre illegalen Geschäfte.
Sandra Winter lässt das nachts nicht mehr schlafen. Oft hat sie Albträume, wacht schreiend auf – dann läuft wieder der Schweiß. „Alles nass“, sagt sie. Die Haarspitzen, die Hände, die Füße, der Rücken, der ganze Körper reagiert heftig.
Tagsüber traut sie sich nicht mehr vor die Tür. Sie hat Angst vor Menschen, Angst vor allem, was „mit Geld“ zu tun hat. Den Computer fasst sie schon lange nicht mehr an. Auch in ihre Wohnung in Schortens traut sie sich nicht. „Die haben auch meine Adresse und die haben alles, was ich mit dem Handy gemacht habe, mitgelesen“, sagt sie.
Oft bleibt sie einfach im Bett. Nichts sehen, nichts hören, nicht die nächste Hiobsbotschaft aushalten müssen. „Mein ganzes Leben ist futsch“, sagt sie. „Ich bin gar nicht mehr existent, ich komme mir vor wie ein Phantom: Man kann mich zwar sehen und anfassen, aber ich fühle mich nicht mehr wie Sandra Winter.“ Denn Sandra Winter ist jetzt eine Betrügerin, sie ist Verbrecherin Nummer eins – „das bin ich aber nicht!“
„Nigeria Connection“ im Verdacht
Denn die international agierenden Kriminellen, bei denen es sich wahrscheinlich um die so genannte „Nigeria-Connection“ handelt, schreiben in ihrem Namen weitere Opfer an, luchsen ihnen Geld und Daten ab. „Deswegen muss ich jetzt an die Öffentlichkeit gehen und deutlich machen: Das bin nicht ich!“, sagt sie.
Und so begann Sandra Winters Leidenszeit:
5000 Euro für ein neues Auto. Diese Summe benötigte Sandra Winter aus Schortens. Im Internet suchte sie deswegen nach einer Online-Plattform für private Kredite. Die kannte sie aus einer Fernseh-Werbung. „Das könnte die Lösung sein“, dachte sie.
Die Website wirkte seriös. Dort stand, sie sei TÜV-geprüft. Hohe Kundenzufriedenheit und sogar eine Empfehlung eines Finanzexperten konnte die Seite vorweisen.
Sandra Winter füllte eine „unverbindliche und kostenlose“ Anfrage aus. Die Seite teilte ihr mit, dass man sich bei ihr melden werde, sobald ein Kreditgeber gefunden sei.
Was Sandra Winter im Juni 2017 nicht wusste: Sie war soeben Betrügern auf den Leim gegangen – und die hoben ihr Leben aus den Angeln.
Bei dieser Betrugsmasche handelt es sich um so genannten Vorschussbetrug. Dabei werden sehr profitable Leistungen versprochen, die allerdings nie erfüllt werden. Im Vorfeld soll eine Zahlung geleistet werden. Oftmals werden die Angebote über das Internet verbreitet. Auch gefälschte Internetseiten werden zu diesem Zweck erstellt. So werden Daten und Geld ergaunert.
Die Polizei gibt folgende Tipps gegen Abzocke:
Denn die Website war eine Fälschung, nur dazu da, Daten abzugreifen. Sandra Winter ahnte nichts. „Dann meldete sich jemand per E-Mail bei mir“, sagt sie: eine Schweizer Kreditfirma.
Viele Daten für einen Kredit
Sie telefonierte mit der Kreditfirma, gab Handynummer und WhatsApp-Kontakt an. „Dabei habe ich mir nichts gedacht. Viele Firmen arbeiten heute doch damit“, sagt die 49-Jährige. Sie lacht. Es ist ein bitteres Lachen. Galgenhumor – mehr bleibt ihr nicht mehr.
Dann kam die erste Zahlungsaufforderung: 357 Euro – Bearbeitungsgebühr, Versicherungsgebühr, Kosten für einen Notar. „Damit der Geldtransfer aus dem Ausland versichert ist. Zu meinem Schutz“, sagt sie. Wieder dieses bittere Lachen. Inzwischen hatte sie sich überreden lassen, 10.000 Euro Kredit aufzunehmen. „Weil der Zinssatz so niedrig war“, sagt sie.
Sie bekam Zugangsdaten zu einem Konto der BankFinancial. Dort sah sie „ihre“ 10 000 Euro liegen. Sie hinterlegte ihre Bankdaten für den Geldtransfer, ihre Adresse, tippte ihre Personalausweis-Nummer ein.
Name „Commerzbank“ täuscht Seriösität vor
Die Bank warb mit Kooperationen mit der Commerzbank und der BNP Paribas, einer französischen Großbank. Die Banken gibt es. Die Seite, die Sandra Winter nutzte – täuschend echt aufgemacht – war ein Fake.
„Als ich alles eingetippt hatte, startete der Geldtransfer. Bei 99,1 Prozent brach die Übertragung ab“, erinnert sich Sandra Winter. Die Seite teilte ihr mit, sie solle sich an die Bank wenden. Sie rief bei der BankFinancial an. Das dachte sie zumindest. Tatsächlich sprach sie mit dem Mitglied eines internationalen Betrüger-Netzwerks. „Der Mann am Telefon erklärte mir sehr professionell, was ich nun tun müsste: ich müsse noch eine Transaktions-Pin freischalten. Kostenpunkt: 575 Euro.“
Sandra Winter telefonierte auch mit ihrer Hausbank. Dort bestätigte man ihr, dass das Geschäft „plausibel klingt“. Die Bank habe sogar eine Summe beigesteuert, damit sie die Zahlung für die Transaktions-Pin leisten konnte. „Meine Hausbank hat das Geld überwiesen.“
Das war Anfang August. Inzwischen war auch der Kreditvertrag per E-Mail gekommen. Ausgearbeitet von einem Rechtsanwalt. „Den Anwalt gibt es. Nur diesen Vertrag, den hat er nicht gemacht“, weiß Sandra Winter heute.
Mit der erforderlichen Pin gab sie erneut ihre Daten ein. Der Geldtransfer startete – bei 99 Prozent brach er ab. „Ich überprüfte alle Angaben, korrigierte eine Stelle. Ich startete den Vorgang erneut.“
99,9 Prozent – der Transfer brach erneut ab. Sandra Winter telefonierte wieder mit den Mitarbeitern der falschen BankFinancial. Diesmal sollte es daran liegen, dass die Hausbank keine Freigabe erteilt habe. Die Hausbank wies das zurück.
Und dann forderte der Kreditgeber eine Stempelsteuer. „Das kam mir komisch vor“, erinnert sie sich. Ganz langsam machte sich ein ungutes Gefühl in ihr breit. Sie kontaktierte ihre Hausbank. Die sagte, die Stempelsteuer sei in Deutschland seit Jahren abgeschafft.
Konto leergeräumt: 2500 Euro weg
Und dann entdeckte Sandra Winter, dass ihr Konto leer ist. Komplett geplündert. Bis auf den letzten Euro.
Wut stieg in ihr auf. Sie war abgezockt worden. Sie ließ sofort ihr Konto sperren. „Da dachte ich noch, dass es nur das war, was die wollten“, sagt sie. Ein bitteres Lachen folgt. Etwa 2500 Euro hat sie so verloren.
Doch das war erst der Anfang: „Ich war da schon fertig mit den Nerven“, sagt sie. Etwa zu dieser Zeit begannen die Schweißausbrüche, zur Wut kam Furcht. „Plötzlich ploppte die erste fremde Nummer in meinen Whats App-Kontakten auf“, sagt sie. Angeblich der Anwalt des Kreditgebers, der forderte, dass sie ihre Raten zahlen müsse. Schließlich habe sie die 10.000 Euro inzwischen erhalten.
Seitdem wird sie mit Nachrichten bombardiert. Ihr Handy ist gehackt. Die Täter können alles mitlesen. Es sind Nummern aus Deutschland oder Nigeria. Sie wird zu Zahlungen aufgefordert, bedroht, beschimpft – manchmal auch beschwichtigt.
Mit diesen dubiosen Worten melden sich die Täter zu Wort.
Immer schreiben sie „Hallo Frau“. Sie, das ist offenbar die so genannte „Nigeria-Connection“, eine internationale und polizeibekannte Tätergruppe, deren Opfer Sandra Winter geworden ist.
Das weiß sie, seit sie sich an die Polizei gewandt hat und dort endlich mit Experten für Internet-Kriminalität sprechen konnte. Eine Rechtsanwältin und der Opferschutzbund Weißer Ring sind eingeschaltet.
Gespräch unter Betrugsopfern
Am 22. Januar 2018 bekommt Sandra Winter eine SMS. Wieder eine fremde Nummer: „Hallo. Können Sie sich bitte mal melden, wenn man Ihnen schon antwortet“, steht dort. Sandra Winter überlegt, ob sie antworten soll. Sie entscheidet sich für einen Anruf. Am anderen Ende ist eine Frau, die sie wüst beschimpft. „Als Verbrecherin, als Betrügerin. Und die Frau behauptete, dass ich die ganze Zeit mit ihr geschrieben hätte. Habe ich aber nicht!“ Ihr bricht der Schweiß aus.
Sie redet auf die Frau ein, bringt sie zum Zuhören. Die Frau ist auch ein Opfer – und zwar von Sandra Winter. „Plötzlich bin ich die Kreditgeberin“, sagt sie. Mit ihrem Personalausweis, perfekt gefälscht mit allen Daten, wurden Konten eröffnet.
Die Täter nutzen die Konten für ihre illegalen Geschäfte. Sie drängen Sandra Winter, bei ihnen einzusteigen. Sandra Winter lehnt ab. Meldet alles der Polizei. Nahezu hilflos muss sie zusehen, wie in ihrem Namen betrogen wird.
Und dann folgt die Kreditkartenschwemme. Täglich kommen per Post Kreditkarten, die sie angeblich bestellt hat. Hat sie nicht. Das Geld wollen die Kreditinstitute trotzdem. Und zwar von der echten Sandra Winter und nicht von ihrer gestohlenen Identität.
Jede Menge schlechte Schufa-Einträge
Inzwischen hat sie 22 Negativeinträge bei der Schufa. Sie bekommt keinen Kredit, kein Konto ohne Bürgschaft mehr. „Aber das bin ich ja alles gar nicht“, sagt sie.
Ihr bleibt zurzeit nur der ständige Kontakt zur Polizei. Jeden Kontakt mit Betrügern und Betrogenen zeigt sie bei der Kripo an.
Die Hoffnung, dass die Täter gefasst werden, hat sie begraben. Die agieren unter falschen Namen und mit geklauten Identitäten. Ihrer habhaft zu werden, ist kaum möglich.
Nun will Sandra Winter zumindest andere Menschen warnen: „Denn das kann jeden treffen. Da hilft nur Aufklärung!“