Oldenburg/Vechta - Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht ein Politiker oder Experte darauf hinweist, dass Ausbildung und Arbeit einer der Schlüssel für die Integration von Flüchtlingen ist. Doch dass die Umsetzung in der Praxis zuweilen schwieriger ist als die Theorie, diese Erfahrung musste in den vergangenen Wochen die Handwerkskammer (HWK) Oldenburg machen.

Im November hatte sie gemeinsam mit den anderen HWKs in Niedersachsen das Projekt „Ihafa“ (Integrationsprojekt Handwerkliche Ausbildung für Flüchtlinge und Asylbewerber) gestartet. Ziel des Projektes ist es, in diesem Jahr 550 junge Flüchtlinge, davon 90 im Oldenburger Land, zunächst zu einem Praktikumsplatz zu verhelfen und dann zum Ausbildungsjahr 2016/17 in eine handwerkliche Lehre zu bringen.

„Aber wir kriegen die Plätze nicht besetzt“, sagt Wolfgang Jöhnk, „Ihafa“-Projektleiter und Geschäftsbereichsleiter Berufsausbildung bei der HWK. Eigentlich sollten zum 1. März die ersten 15 Flüchtlinge im Oldenburger Land loslegen. Tatsächlich starten werden aber jetzt wohl nur acht bis neun. In den anderen Kammerbezirken in Niedersachsen sieht es nicht anders aus, sagt Jöhnk.

„Das Haupthindernis ist die Sprache“, erklärt Hussein Kerri, einer der beiden Integrationsberater der Kammer. Dabei sei das Interesse unter den Flüchtlingen und Asylbewerbern an dem Projekt durchaus groß.

Um eine Ausbildung beginnen zu können, sollten die jungen Leute bei der Sprache eigentlich die Niveaustufe B1 (selbstständige Sprachverwendung), zumindest aber A2 (elementare Sprachverwendung), erreicht haben. Tatsächlich hätten die meisten Flüchtlinge, die 2015 nach Deutschland gekommen seien, aber gerade erst mit ihren A1-Sprachkursen begonnen.


Kerri macht das Problem an einem praktischen Beispiel deutlich: „Zu einer Info-Veranstaltung in Vechta waren kürzlich 45 Flüchtlinge und Asylbewerber gekommen, nur einer von ihnen verfügte über das Sprachniveau B1.“

Die Sprache ist die größte, aber beileibe nicht die einzige Herausforderung. „Unser duales Ausbildungssystem ist in Ländern wie Syrien, dem Irak oder Afghanistan völlig unbekannt“, sagt Jöhnk. „Da müssen wir erst einmal eine Menge Informations- und Aufklärungsarbeit leisten und aufzeigen, dass – trotz des anfangs geringen Verdienstes – auf lange Sicht eine Ausbildung im Handwerk viel mehr berufliche Perspektiven bietet, als von Billigjob zu Billigjob zu springen.“

Kerri (52), der selbst vor 32 Jahren als Asylbewerber aus dem Libanon nach Deutschland kam, eine handwerkliche Lehre abgeschlossen hat und mittlerweile Handwerksmeister ist, kennt die Unterschiede. In vielen arabischen Ländern sei es im handwerklichen Bereich eher so, dass man in einem Betrieb anfängt und sich dann über die Jahre hocharbeitet.

Ein strukturiertes System mit Berufsschule, Gesellen- und Meisterbrief gebe es dort nicht. „Wenn ich den Flüchtlingen davon erzähle, sind viele erst einmal sehr erstaunt“, sagt Kerri, der fließend Arabisch spricht.

Und noch etwas erschwert den Start in eine Ausbildung. „Wenn die Flüchtlinge nach Deutschland kommen, sind sie erst einmal damit beschäftigt, einen festen Boden unter die Füße zu kriegen“, sagt Kerri. Viele seien traumatisiert. Themen, wie eine feste Bleibe, der Nachzug der Familie, der Asylantrag oder der erste Sprachkurs seien zunächst dringlicher als die Frage der Berufsausbildung. „Auf eine dreijährige Ausbildung lässt sich nur ein, wer sich auch sicher ist, langfristig in Deutschland bleiben zu können und zu wollen“, so Jöhnk.

Trotz des schleppenden Starts bei „Ihafa“ glaubt man bei der Handwerkskammer weiter an das Projekt. „Wir sind vielleicht etwas zu früh angefangen und unsere Erwartungen waren etwas zu hoch, trotzdem ist das Projekt richtig“, meint Jöhnk. „Manchmal braucht man auch einen langen Atem.“

Jörg Schürmeyer
Jörg Schürmeyer Thementeam Wirtschaft