Großenmeer Harte Zeiten stehen bevor: „In 2030 werden wir in ganz Niedersachsen 1000 Ärzte weniger haben“, sagte Mark Barjenbruch. Das gilt zumindest, wenn nichts getan wird, so der Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen. Aktuell seien bereits 380 Stellen unbesetzt.
Am Beispiel Wesermarsch würde das bedeuten: Bis 2030 sinke die hausärztliche Versorgung im Norden des Landkreises auf unter 50 Prozent. „Und dann überlegen Sie mal, wie versorgt Sie sich schon jetzt fühlen“, so Barjenbruch zum Publikum.
Das war auf Einladung der SPD Niedersachsen und der Landtagsabgeordneten Karin Logemann (Berne) ins Gast- und Eventhaus Großenmeer (Landkreis Wesermarsch) gekommen. Neben Barjenbruch diskutierten über die „Ärztliche Versorgung im ländlichen Raum“ noch Oliver Lottke (SPD-Landtagsabgeordneter und Mitglied der entsprechenden Enquete-Kommission), Oliver Kamlage (Niedersächsischer Städte- und Gemeindebund) sowie Dr. Jens Wagenknecht (Arzt aus Varel und stellv. Vorsitzender im Deutschen Hausärzteverband).
Einig war sich das Podium in Bezug auf das grundlegende Problem: Wird nicht bald etwas getan, wird sich die ärztliche Versorgung auf dem Land – und teilweise auch in städtischen Randlagen – in den kommenden Jahren noch deutlicher verschlechtern. Und das sowohl bei niedergelassenen Haus- und Fachärzten als auch im stationären Bereich.
Einig waren sich die Teilnehmer auch bei einem Lösungsansatz, der Landarztquote nach Vorbild von Nordrhein-Westfalen. Das bedeutet: Ein gewisser Prozentsatz an Medizin-Studienplätzen wird für diejenigen reserviert, die sich verpflichten, nach dem Studium für mehrere Jahre als Landarzt zu arbeiten.
Wie so eine Verpflichtung in der Praxis funktionieren kann, wird sich zeigen müssen, denn während des Studiums ändern sich Wünsche und Vorlieben ja durchaus und was passiert, wenn ein Quoten-Landarzt plötzlich doch lieber Chirurg werden will? Aber, und das wurde auch deutlich: Eine Landarzt-Quote könne nur ein Baustein sein.
Darüber hinaus müssten andere Mechanismen greifen. „Kommunen haben eigentlich keine gesetzliche Handhabe, um Ärzte aufs Land zu holen“, so Kamlage. Aber man könne die Rahmenbedingungen verbessern, genannt wurden unter anderem: Breitbandausbau, Schulen, ÖPNV, Einkaufsmöglichkeiten. Barjenbruch dazu: „Natürlich kommen sie mit dem ÖPNV auf dem Land zum Arzt. Sie kommen nur nicht am gleichen Tag zurück.“ Zusätzliche Anreize würden in der Wesermarsch mit Projekten wie „Land(Er)Leben. Medizin Lernen und Leben von Jade bis Weser“, „Landärztin/Landarzt gesucht!“ oder der Mitgliedschaft in der Gesundheitsregion Jade-Weser geschaffen, erklärte Logemann.
Zudem müsse man auf die geänderten Ansprüche junger Mediziner reagieren, war man sich einig. Medizinische Versorgungszentren, in denen Ärzte angestellt und auch in Teilzeit arbeiten könnten, wären eine mögliche Reaktion.
Allerdings: Selbst wenn der Landarzt oder die Landärztin überzeugt davon seien, die Stadt hinter sich zu lassen – auch die Lebenspartner müssten überzeugt werden. Daher seien gute berufliche Möglichkeiten für Nicht-Mediziner ein wichtiger Faktor. „Vielleicht sollten wir mit Elite-Partner kooperieren“, scherzte Barjenbruch. Die Tragweite der Verschränkungen sowohl im medizinischen Bereich (Ausbildung, Honorare, Abrechnungen) als auch bei den weichen Standortfaktoren sei der Enquete-Kommission bewusst, so Lottke. Ende des Jahres will die Kommission ihre Ergebnisse vorlegen.
Selbst bei einer zügigen Einführung von Maßnahmen wie niedersachsenweit mehr Studienplätze würde es dauern, bis diese Maßnahmen greifen. „Es dauert zehn bis zwölf Jahre, bis ein Arzt vollständig ausgebildet ist“, sagte Lottke.
Angesichts der Prognosen für 2030 ist man bei zehn bis zwölf Jahren bis zum Greifen der Maßnahmen also schon spät dran. Und es höre bei ambulanter Behandlung nicht auf. Wagenknecht brachte auch die Krankenhäuser ins Spiel. Hier sprach er sich unter anderem für zentralisierte Angebote statt vieler kleiner Krankenhäuser aus.
Für niedergelassene Ärzte forderte er vor allem eine Reduzierung der Patientenkontakte. Was er damit meinte: Viele Tätigkeiten, darunter auch die Einschätzung wie schwer eine Krankheit ist, könnten von speziell geschulten Arzthelferinnen und Arzthelfern übernommen werden. In anderen Ländern sei dies schon die Regel – und die Sterblichkeitsraten hätten sich dadurch nicht verschlechtert. „Wir müssen nur Mut haben.“