Wildeshausen/Ahlhorn - Das Thermometer zeigt minus 6 Grad. Es fegt ein scharfer Ostwind. Die Hände sind rot und kalt. Doch Mokhtar Amiri ficht das nicht an. Mit einem Lächeln im Gesicht lädt der 29-Jährige die grünen Kisten mit Apfelsinen und Bananen ab. Sein Kollege Kai Gogol auf dem Laster guckt da schon etwas verkniffener.

Mohktar packt regelmäßig bei der Wildeshauser Tafel an. Am Donnerstag, dem Ausgabetag, mindestens zwei Stunden. Vor zwei Jahren ist der gelernte Maler mit seiner Familie aus dem Norden Afghanistans nach Deutschland geflohen. Als er von der Tafel Spenden bekam, fühlte er sich verpflichtet, mitzuhelfen. „Er ist unser Sohn“, beschreibt Peter Krönung (71), der Vereinsvorsitzende der Tafel, das familiäre Miteinander. Amiri habe quasi vom ersten Tag an in Wildeshausen angepackt. „Die Tafel ist sehr gut für mich“, erklärt der Geflüchtete. Deutsch lernen und helfen sei eine ideale Kombination.

„Wir sind hier wie eine Familie“, sagt Krönung. „Das gute Verhältnis ist über Jahre gewachsen.“ Gleich nebenan bestücken Ehrenamtliche die Regale der Ausgabestelle auf dem Gelände der Diakonie Himmelsthür. Natürlich wird an diesem Donnerstag über die Entscheidung der Essener Tafel diskutiert, vorerst keine Ausländer mehr aufzunehmen, da sich ältere Menschen und Alleinerziehende ihretwegen nicht mehr wohl fühlten. Bei den Mitarbeitern und Kunden der Wildeshauser Tafel stößt die Entscheidung auf wenig Verständnis. Manche glauben, der „Fall Essen“ würde ein teilweise schlechtes Bild auf die Tafeln werfen.

„Unsere Aufgabe ist klipp und klar definiert“, betont der Tafel-Vorsitzende: „Wir geben Waren an alle Bedürftigen aus – gleich welcher Nationalität oder Religion.“ Die „Denke“ sei anders als im Ruhrgebiet.

Die Ausgabestelle in Wildeshausen betreut 181 Haushalte; in Ahlhorn werden 157 Haushalte bedient. Insgesamt sind es 582 Erwachsene und 350 Kinder. Genau 271 (29 Prozent) der insgesamt 932 Bedürftigen seien deutscher Nationalität. 255 Kunden (27,3 %), davon allein 195 in Ahlhorn, stammen aus dem Irak. Die Zahl der Syrer ist mit 88 (9,4 %), darunter 53 an der Ausgabestelle Wildeshausen, relativ gering. 61 Bulgaren nehmen die Leistungen der Tafel in Wildeshausen in Anspruch; zur Ausgabestelle Ahlhorn kommt niemand aus dem ärmsten EU-Land.


Vorgänge wie an der Essener Tafel schließt Krönung für Wildeshausen und Ahlhorn weitgehend aus. Es gebe klare Regeln. Bereits bei der Ausgabe der Berechtigungskarten finde ein ausführliches Aufklärungsgespräch, gegebenenfalls mit Sprachmittlern, statt. Als die Zahl der Flüchtlinge an der Ausgabestelle besonders hoch war, hätten sich ähnliche Probleme wie in Essen angedeutet, erinnert sich Krönung. Die Mitarbeiter der Tafel hätten damals aber rechtzeitig eingegriffen.

An Mokhtar geht die Diskussion weitgehend vorüber. Der zweifache Familienvater – Sohn Hussein ist drei Jahre alt, Tochter Royg ein Jahr – entlädt weiterhin den Lieferwagen. Mit Kai Gogol spricht er einige kurze Sätze. Nächste Woche stehe der Abschluss des Integrationskursus an. Das Zertifikat ist dem Neu-Wildeshauser wichtiger.

Stefan Idel
Stefan Idel Landespolitischer Korrespondent