Wilhelmshaven - Trutzig und kantig reckt sich da etwas in den Himmel, ein monumentaler, hundert Meter langer Riegel, gekrönt von einem 40 Meter hohen Turm. Kein Wunder, dass für dieses Bauwerk bald der Name „Burg am Meer“ kursierte: Das Rathaus der Stadt Wilhelmshaven, das vor genau 90 Jahren, am 11. Oktober 1929, als Rathaus der Stadt Rüstringen eingeweiht wurde. Rüstringen war die oldenburgische Stadt (zum Freistaat gehörend), Wilhelmshaven die preußische Enklave. Erst 1937 wurde aus den beiden selbstständigen Kommunen die Stadt Wilhelmshaven.
Entworfen hatte das Gebäude in Rüstringen der Architekt Fritz Höger (1877-1949), der mit seinem genialen Chile-Haus in Hamburg und dem Anzeiger-Hochhaus in Hannover, darüber hinaus in Delmenhorst (Krankenhaus) oder Bad Zwischenahn (Wasserturm) imposante Bauwerke der Klinkerarchitektur geschaffen hatte, und der in seiner Heimatstadt Bad Segeberg auch als Klinkerfürst bezeichnet wurde. Aus Bockhorner Klinkern ist das Chile-Haus in Hamburg und ist auch das Rathaus in Wilhelmshaven gebaut worden, wobei man korrekterweise darauf hinweisen muss, dass die Klinkersteine die Verblender sind, dahinter verbirgt sich eine Eisenbetonstruktion.
In Rekordzeit gebaut
Das Rathaus, das in einer Rekordzeit von 77 Wochen errichtet wurde, entstand auf einer freien Fläche. Architekturkritiker werfen Höger vor, er habe Solitäre ohne Anbindung und Rücksicht auf die übrige Bebauung geschaffen.
Ein Vorwurf, den Architekt Hannes Griesemann nicht stehen lassen will. Höger habe ja später mit dem gegenüberliegenden Finanzamt und den Wohnhäusern (natürlich Klinkerbauten) im angrenzenden Stadtteil Siebethshaus die Formen und Sprache des Rathauses aufgegriffen. „Das fügt sich zusammen“, sagt Architekt Griesemann, der übrigens ein Enkel des „Klinkerbarons“ Wilhelm Röben ist, in dessen Ziegeleien ein Teil der Bockhorner Klinker für das Rathaus gebrannt wurden.
Griesemann war es, der später von der Stadt Wilhelmshaven den Sanierungsauftrag erhielt und dafür gesorgt hat, dass der durch Bauschäden beeinträchtigte Rathausturm saniert wurde. Eine Schadenaufnahme hatte zuvor ergeben, dass die Ziegelfassaden brüchig wurden. 2014 wurden gar der Abriss und Neuaufbau des Turms beschlossen. Griesemann schaute sich die Schäden an und überzeugte die Verantwortlichen bei der Stadt Wilhelmshaven, dass man weitere Untersuchungen anstellen müsse und dass man die Schäden „mit vertretbarem Aufwand“ sanieren kann.
Tatsächlich hatte Feuchtigkeit im Turm (in ihm befindet sich ein 950 000 Liter fassender Tank zur Trinkwasserversorgung) den Eisenbeton erheblich geschädigt. Der Abrissantrag war schon gestellt, doch konnte Griesemann mit seinem Sanierungskonzept die Arbeiten in eine andere Richtung lenken. Der Wassertank wird zwar nicht mehr genutzt, der imposante, 40 Meter hohe Rathausturm musste jedoch nicht abgerissen werden.
Das Rathausportal wird übrigens von zwei gemauerten Löwen flankiert, hinter den Türen empfängt den Besucher eine Eingangshalle mit Treppenhaus, das mit Elementen des Art déco gestaltet ist. Türkisfarbene Keramikkacheln bilden die Wandverkleidung – das alles schafft einen großzügigen und weiträumigen Eindruck.
Den Nazis nahe
Die Fassade ist durch die zahlreichen Sprossenfenster geprägt, die nach dem Willen von Höger gewölbte Scheiben erhielten, sozusagen eine Welle, die über die Fassade verläuft. Durch Sanierung in den 80ern wirken die Sprossenfenster etwas unproportioniert, wer die Handschrift des Architekten sehen will, sei auf die Rückseite des Turms verwiesen, dort sind einige Sprossenfenster eingebaut, die dem Original entsprechen.
Was man neben dem Architektonischen wissen muss: Fritz Höger sympathisierte mit den Nationalsozialisten. Und er äußerte sich noch nach dem Krieg in antisemitischer und rassistischer Weise. Höger trat 1931 der NSDAP bei, diente sich Hitler an. Er wollte Hitler treffen und gab Tipps für den Umgang mit Juden: „In der Judenbekämpfung langsam und klug vorgehen. Maßnahmen, die zu Judenpogromen (sic) führen, sind in Deutschland nicht gut und würden zu Deutschlands wirtschaftlichem Untergang führen. Wohl aber die Juden von wichtigen Regierungs- und Beamtenstellen fern halten“, notierte Höger.
In einem undatierten, aber nach dem Beginn der Nürnberger Prozesse (also nach 20. November 1945) erstellten Text schreibt Höger: „Genauso ist auch das Judentum ein solcher Schmarotzer in der gesamten Menschheit, die von ihm befallen ist. Egoistischer Materialismus, große Schlauheit, die zur Hinterlist wird“, beschreibt sein antisemitisches Weltbild.
Seine Karriere als Architekt wurde von den Nationalsozialisten indes wenig gefördert. Zwar wurde Höger 1933 Professor in der Architekturabteilung der Bremer Hochschule. Aber schon 1935 wurde ihm die Lehrbefugnis wieder entzogen.
Neider ätzten, Höger sei „Baubolschewist“ und habe jüdische Mitarbeiter beschäftigt (das stimmte: Ossip Klarwein emigrierte 1933 und gewann 1957 den Wettbewerb für den Bau der Knesset).