Wilhelmshaven - Es ist ein schöner Spätsommertag Ende August, als Anja Stiller und ihre Tochter Sabrina in Altengroden mit den Rädern zu einer kleinen Runde durch den Stadtpark aufbrechen. Sie kennen die Strecke gut, doch auf dem Radweg kurz vor der Brücke beim Ehrenfriedhof passiert es: Sabrina Stiller fährt unwissentlich über eine große Sandfläche auf dem Radweg, stürzt samt Fahrrad - und bricht sich das rechte Schienbein – so schwer, dass die 32-Jährige bis heute unter den Folgen zu leiden hat.
Bruch muss mehrfach operiert werden
Fast zwei Jahre liegt der Unfall nun zurück. Zwei Jahre, in denen die junge Frau gekämpft hat, um so gut es geht wieder auf die Beine zu kommen. Der komplizierte Bruch musste mehrfach operiert werden, siebenmal kam sie unters Messer. Zuletzt im Januar dieses Jahres. Und es wird nicht das letzte Mal gewesen sein. Medizinische Komplikationen, Physiotherapie, zwölf Wochen Rollstuhl. Die junge Frau mit geistiger Behinderung musste große Herausforderungen bewältigen.

Aufgeschütteter Sand auf dem Radweg brachte die junge Radfahrerin damals zu Fall. Die Gefahrenquellen sind inzwischen beseitigt worden.
„Äußerlich war erst gar nicht zu erkennen, wie schlimm es ist – nur eine Schürfwunde“, erinnert sich ihre Mutter an den Unfall. Die CT-Aufnahmen im Klinikum offenbarten dann das ganze Ausmaß der Verletzung: Sabrinas rechtes Schienbein ist mehrfach gebrochen, das Knie in Mitleidenschaft gezogen. Mediziner sprechen von einer Tibiakopffraktur. Schon am nächsten Tag wird die Tochter notoperiert, da das Bein in der Zwischenzeit stark angeschwollen war. Bei einer weiteren OP werden feine Schienen und Schrauben eingesetzt, damit der Knochen wieder zusammenwachsen kann.
Stadt stellte zusätzliches Schild auf
Seit dem Unfall beschäftigt die Familie eine Frage: Hätte der Unfall verhindert werden können? Etwa durch ein Schild, das auf den Zustand des Radweges hinweist? Es sei nicht erkennbar gewesen, dass Radfahrer an der unbefestigten Stelle so tief in einer Sandfläche einsacken können, sagt Andreas Stiller. Erst nach dem Unfall habe die Stadt am Beginn des Radweges ein zusätzliches Schild angebracht – mit dem Zusatz „Radwegschäden“. Und auch die Stellen mit dem Sand seien später ausgebessert worden.
Belegt sei das durch die Polizei, bei der sich Familie Stiller nach dem Unfall meldete. Die Familie nahm sich einen Anwalt und machte bei der Stadt Wilhelmshaven Schadenersatzansprüche geltend.
Große Hoffnungen machte ihnen der Anwalt am Ende aber nicht. „Die Stadt hat die Schadenersatzansprüche und den Vorwurf der Verkehrssicherungspflichtverletzung von vornherein zurückgewiesen“, sagt Andreas Stiller und zitiert aus dem Schreiben, das damals an seinen Anwalt ging und letztlich seine Tochter die alleinige Schuld am Unfall treffe. „Grundsätzlich hat jeder Verkehrsteilnehmer die Straßen und Wege in dem Zustand hinzunehmen, in dem sie sich ihm erkennbar darbieten“, heißt es dort.

Das Hinweisschild auf den Radweg wurde erst später ergänzt.
Andreas Stiller
Heute weisen zusätzliche Schilder auf Radwegschäden hin.
Andreas StillerAuch ein Fahrradfahrer könne demnach nicht erwarten, überall optimale Straßen- und Radwegverhältnisse vorzufinden. Vielmehr habe er seine Fahrweise dem erkennbaren Zustand der Straßen und Wege anzupassen und sich entsprechend vorsichtig fortzubewegen. „Diese auch dem eigenen Schutz dienende Sorgfalt hat Frau Stiller offensichtlich nicht beachtet“, so die Auffassung der Stadt. Zudem sei der Radweg im Stadtpark nicht befestigt, es handle sich vielmehr um einen Sandweg. „Es entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass Sandwege insbesondere in Zeiten extremer Trockenheit über keine feste Oberfläche verfügen“, begründet die Stadt in dem Schreiben.
Andreas Stiller machen die Formulierungen bis heute betroffen. „Ich hätte mir einen menschlicheren Umgang gewünscht, wenigstens die Nachfrage, wie es unserer Tochter geht“, sagt er. Zudem teile er die Auffassung der Stadt nicht. „Es ist ja eben kein Sandweg, sondern ein mit Schotter befestigter Radweg“, sagt er. „Da waren an mehreren Stellen große Sandflächen, als wäre dort an den Wurzeln der angrenzenden Bäume gearbeitet worden.“ Ein Polizist, der sich nach dem Unfall auf dem Weg umgesehen hat, habe drei aufgelockerte Bereiche festgestellt, die für Radfahrer durchaus gefährlich sein könnten.
Doch die Stadt wiegelte auch ein zweites Schreiben des Anwalts ab. Der Fall hätte in einem Zivilprozess geklärt werden müssen. Auf einen Rechtsstreit wollte sich Familie Stiller am Ende nicht einlassen – auch wegen der hohen Kosten, die sie bei einer Zivilklage hätten vorschießen müssen.
„Juristisch ist das Thema damit erledigt, aber zu so einem Vorfall könnte es jederzeit wieder kommen“, befürchtet Andreas Stiller und will deshalb darauf aufmerksam machen, wie schnell es zu einem Unfall mit jahrelangen Folgen kommen kann. Von der Stadt Wilhelmshaven würde er sich wünschen, den Fall seiner Tochter auch aus diesem Blickwinkel zu sehen – und umso mehr Vorsicht bei allen möglichen Gefahrenquellen walten zu lassen.