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nordwest-zeitung

Hilferuf an Eltern Krankheitswellen und Überlastung – Brandbrief warnt vor Kita-Kollaps in Ostfriesland

In den evangelisch-lutherischen Kindertagesstätten des Kirchenkreisverbandes Ostfriesland könnten zukünftig reihenweise Gruppen geschlossen werden.

In den evangelisch-lutherischen Kindertagesstätten des Kirchenkreisverbandes Ostfriesland könnten zukünftig reihenweise Gruppen geschlossen werden.

dpa

Ostfriesland - Die evangelisch-lutherischen Kindertagesstätten des Kirchenkreisverbandes Ostfriesland-Nord stehen kurz vor dem Kollaps: In einem Elternbrief, der der Redaktion vorliegt, zeichnet die pädagogische Leitung, Annette Korth, ein düsteres Bild. Es ist von Überlastung der Fachkräfte, Personalmangel, massiven Krankheitswellen, Beschimpfungen und Aggressionen gegenüber den pädagogischen Fachkräften die Rede. Und Korth warnt Eltern davor, dass zukünftig in den 29 Kindertagesstätten in den Kirchenkreisen Harlingerland (beispielsweise die Kita St. Nicolai in Wittmund), Norden (beispielsweise das Kükennüst in Norden) und Aurich (beispielsweise die Kita Kunterbunt in Timmel), häufiger Gruppen geschlossen werden müssen.

Evangelisch-lutherische Kindertagesstätten in Ostfriesland

Insgesamt 29 Kindertagesstätten gehören zum Kirchenkreisverband Ostfriesland-Nord. Im Kirchenkreis Aurich sind das die Arche in Mittegroßefehn, Kunterbunt in Timmel, Lamberti in Aurich, Regenbogen in Spetzerfehn und jeweils eine Einrichtung in Victorbur und Wiesedermeer.

Im Kirchenkreis Harlingerland gehören die Einrichtung Am Wald in Neugaude, An der Eisenbahn und An der Mühle in Esens, Arche Noah in Marx, Bärenhöhle in Esens, Goethestraße in Wittmund, eine Einrichtung in Horsten und Leerhafe, Kinnerhuus in Holtgast und Pfiffikus in Werdum, Schwalbennest in Reepsholt, Spatzennest in Neuharlingersiel, St. Aegidien in Stedesdorf, St. Nicolai in Wittmund, Strandläufer in Bensersiel und Swaalvke Nüst in Westerholt dazu.

Im Kirchenkreis Norden gehören die Einrichtung Am Kap auf Norderney, Kükennest auf Norderney, Kükennüst in Norden, eine Einrichtung in Marienhafe, Schneckenhaus in Osteel, Schwalbennest auf Juist und St. Bartholomäus in Dornum zum Kirchenkreisverband.

Kriegs-traumatisierte Kinder und die Corona-Generation

Korth beschreibt im Gespräch, dass viele Kinder durch die Corona-Krise und die damit einhergehenden Einschränkungen, den Ukraine-Krieg und die Situation in Syrien Defizite im Bereich der sozio-emotionalen Entwicklung aufweisen: „Einige können nicht mit Verlust, Frust oder Ähnlichem umgehen, keine eigenen Lösungen entwickeln“, so Korth. Und das trete in einer Häufigkeit, Intensität und Qualität auf, die bis dato ungekannt ist – und führe wiederum zu Aggressionen, Beschimpfungen, Schlägen, Beißattacken, Bespucken und Treten zulasten der pädagogischen Fachkräfte, und das ebenfalls in einer bis dato ungekannten Qualität und Quantität: „Es kommt auch vor, dass Stühle durch den Raum geworfen werden und jemand ruft: „Bombe!“ und sich versteckt“, so Korth. Das sind Szenarien, die nahezu täglich in den Kitas vorkommen und über die Korth offen spricht: „Wir müssen die Missstände benennen, um unsere Fachkräfte zu schützen“, sagt sie.

„Ein ganz übler Kreislauf“

Auch würden vermehrt Eltern „halb-kranke“ Kinder in die Einrichtungen, beispielsweise bringen, da sie selbst wohl unter enormen Druck durch ihre jeweiligen Arbeitgeber stünden: „Das ist aber ein ganz übler Kreislauf, in dem wir uns befinden.“ Auch zahlentechnisch schlägt sich das mittlerweile drastisch nieder: Früher habe man, wie eine Studie zeige, mit etwa 10 Krankheitstagen pro Jahr für pädagogische Fachkräfte gerechnet. Derzeit rechne man mit 15 bis 19 und neue Studien sehen 30 Krankheitstage vor. Korth könnte die Eltern sogar zum Teil verstehen, doch sie appelliert an sie, die gesetzlich geregelten 15 Krankheitstage pro Kind auch zu nutzen.

Aushelfen, wo immer es geht

Und obwohl die Fachkräfte teils von Spetzerfehn nach Wittmund fahren, um dort auszuhelfen, sei die Situation kaum noch zu stemmen: „Das Limit ist ernsthaft erreicht, das System Kita steht vor dem Kollaps.“ Erschwerend komme hinzu, dass die Einrichtungen auch nicht auf Eltern, die nicht berufstätig sind, zugehen dürfen, um diese zu bitten, ihr Kind zu Hause zu betreuen und den Platz für berufstätige Eltern freizuhalten, wenn es zu Personalausfällen kommt. Zudem dürfen Kita-Gruppen auch nicht einfach zusammengelegt, sondern nur aufgefüllt werden. Das geht aber nur, wenn die maximale Anzahl von 25 Kindern bei zwei Fachkräften nicht überschritten wird. Aufgrund der Gesamtproblematik weist Korth in dem Elternbrief auch noch einmal darauf hin: „Lassen Sie Ihr Kind sich auskurieren und beachten die Regel, dass ein Kind 48 Stunden symptomfrei sein sollte, bevor es wieder die Kita besucht.“

Aike Sebastian Ruhr
Aike Sebastian Ruhr Ostfriesland-Redaktion/Norden