Am Donnerstag hat die Union im Parlament wieder einmal über Taurus-Lieferungen an die Ukraine abstimmen lassen. Sie hat verloren, denn die Ampel wollte ihren Kanzler nicht endgültig demontieren. Doch der Zug Richtung Schlachtfeld rollt weiter.
Das Treiben rund um den Taurus ist bei genauer Betrachtung eine Farce. Der Union geht es um innenpolitische Profilierung. Teile der Regierung wollen sich als Friedenspartei profilieren, CDU und andere Teile der Regierung geben die Falken. Ein Blick auf die vergangenen zwei Jahre verrät, dass diese Politik Deutschland im Trippelschritt in den ukrainisch-russischen Sumpf führt.
– Begonnen hat alles mit 5000 Helmen, die im Januar 2022 in die Ukraine gehen. Dann kommt im Februar des Jahres der russische Großangriff: Schon zwei Tage später kündigt die Bundesregierung an, 1000 Panzerabwehrraketen und 500 Stinger-Raketen an die Ukraine zu liefern. Es folgen Munition und leichte Schützenwaffen. Schwere Waffen – das macht die Scholz-Regierung immer wieder klar – würden nicht geliefert. Die Halbwertszeit dieser Zusage ist gering: Schon im April sagt Scholz die Lieferung von Gepard-Flugabwehrpanzern zu. Ende April beschließt der Bundestag, die Schleusen zu öffnen. Geliefert werden Iris-T Flugabwehrsysteme und Mars-Mehrfachwerfer. Die Rote Linie des Kanzlers sind nun gepanzerte Fahrzeuge. Sie hält bis zum Januar 2023. Es gehen Marder- und Patriot-Systeme nach Kiew. Der Kanzler will aber ganz sicher keine Leopard-Panzer liefern. Er hält nur knapp 20 Tage durch. Am 25. Januar werden auch die freigegeben. Inzwischen hat die Bundesregierung Waffen im Wert von 28 Milliarden Euro in die Ukraine verschickt.
Schwacher Kanzler
– Nun also der Taurus. Auch hier wird der Kanzler irgendwann einknicken, schließt man aus seinem Verhalten in der Vergangenheit auf die Zukunft. Noch jedes Mal hat er unter dem Druck der Bellizisten kapituliert. In deren Reihen geht der fatale Glaube an die „Wunderwaffe“ aus Deutschland nicht aus. Heute heißt das „Game-Changer“, und noch jedes Mal – sei es bei den Mitgliedern der Raubkatzen-Familie oder dem fliegenden Stier – war davon die Rede. Doch die Wunderwaffen-Hoffnung trog Deutsche vor 80 Jahren, so wie sie heute trügt. Der Inspekteur der Luftwaffe machte in dem jüngst abgehörten Gespräch mit seinen Offizieren dann auch ganz klar, dass der Taurus den Krieg nicht wenden wird.
– Was kommt nach dem Stier? Womöglich Nato-Truppen in der Ukraine. Der französische Präsident Macron hat vergangene Woche diese Idee noch einmal bekräftigt. Polens Außenminister bestätigte, dass bereits Nato-Soldaten gegen die Russen kämpfen. Er sprach sich für weitere westliche Truppen aus. Wie lange kann da der schwache deutsche Kanzler noch Nein sagen? Das Bild mutet an, wie das eines Schlafwandlers – ein bekanntes Gleichnis im Zusammenhang mit der Urkatastrophe Europas, dem Ersten Weltkrieg. Früher betrachtete man Politik, die genau das verhindern wollte, als gute Politik. Heute verlegen sich nicht wenige europäische Politiker auf Eskalation. Bei der Europawahl könnte das zu einem beherrschenden Thema werden.
– Die FDP zieht gar mit der Vorsitzenden des heimlichen deutschen Kriegskabinetts in den Wahlkampf. Sie inszeniert Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die bekannteste deutsche Kriegswillige, im Wahlkampf als „Oma Courage“. Ein entsprechendes Plakat wurde in dieser Woche vorgestellt. Zum einen gehört jedoch wenig Courage dazu, als Politiker zu eskalieren, was das Zeug hält. Die Zeche müssen – wenn es schiefgeht – andere zahlen, nämlich diejenigen, die dann verheizt werden. Wir erleben hier billige Gratiscourage.
Zum anderen ist der Slogan, der mit dem Titel des Brecht’schen Stücks „Mutter Courage und ihre Kinder“ spielt, schlecht gewählt. Das Schauspiel erzählt nämlich die Geschichte einer Frau, die versucht, aus Krieg Profit zu schlagen und dabei ihre sämtlichen Kinder verliert. An einer Stelle ruft die „Courage“ aus: „Ich lass‘ mir von euch den Krieg nicht madig machen!“ Deutsche Kriegswillige ticken heute ähnlich.
Was also tun?
Wir erleben die groteske Situation, dass ausgerechnet die Parteien, die aus unzähligen Gründen unwählbar sind – AfD, Linkspartei und die Wagenknecht-Truppe – aus unterschiedlichen Gründen eine Politik der Nichteinmischung und Deeskalation vertreten. Bei allen anderen, den etablierten Parteien also, kann man sich dagegen nicht sicher sein, dass sie Deutsche am Ende nicht doch in ukrainischen Schützengräben platzieren – und sei es auch nur „aus Versehen“ per Salami-Eskalation. Selbst die Kanzlerpartei ist in der Ukraine-Frage tief gespalten und changiert zwischen Pazifismus und Bellizismus.
Wenn Friedrich Merz dem Kanzler aber vorwirft, er spiele mit „Kriegsängsten der deutschen Bevölkerung“, ist das unredlich. Der Kanzler nebst Teilen seiner SPD wollen vielmehr, offenbar aus ehrlichem Herzen, verhindern, dass wir in einen Großen Krieg hineinschlafwandeln. Ihnen ist vorzuwerfen, dass sie das nicht entschlossen genug tun und sich in der Vergangenheit von den Falken treiben ließen.
Am Ende sind es aber Leute wie Friedrich Merz und die selbst ernannte „Oma Courage“, die mit einer Politik bedingungsloser Ukraine-Unterstützung tödliche Risiken eingehen wollen, die sie nicht kontrollieren können, auch wenn sie nicht müde werden, das zu behaupten. Man nannte solche Leute früher „politische Hasardeure“.