Im Nordwesten - Kaum steht das Essen auf dem Tisch, beginnt das Drama: Das Kind sortiert die Erbsen aus, beäugt skeptisch das Fleisch und lässt die liebevoll zubereitete Gemüsepfanne gänzlich unangetastet. Stattdessen gibt es eine klare Wunschliste – Nudeln, aber bitte ohne Soße. Oder vielleicht Brot, aber nur mit Butter, keinesfalls mit Käse. Viele Eltern kennen dieses Szenario und werden bei Mahlzeiten regelmäßig an den Rand der Verzweiflung getrieben.
Kinder, die nur eine sehr eingeschränkte Auswahl an Lebensmitteln akzeptieren, nennt man „Picky Eater“ – übersetzt „wählerische Esser.“ Häufig beginnt dieses Verhalten im Kleinkindalter: Eine wissenschaftliche Studie der Irischen Nationaluniversität aus dem Jahr 2020 kam zu dem Schluss, dass rund 22 Prozent der Kinder zwischen vier und 30 Monaten Picky Eater sind.
Mäkelig heißt nicht gleich ungesund
Verweigert das Kind immer wieder einen Großteil des Essens, sind Eltern verständlicherweise besorgt. Doch in den meisten Fällen, sind diese Sorgen unbegründet, sagt die Diplom-Ökotrophologin Sonja Pöhls von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) Niedersachsen: „Nur weil ein Kind ein Picky Eater ist, ist es nicht automatisch mangelernährt.“ Picky Eating sei keine Krankheit oder Essstörung, sondern ein besonderes Essverhalten.
Eine Studie der Universität von Michigan hat aufgezeigt, dass pingelige Esser zwar im Durchschnitt einen geringeren BMI haben, sich aber dennoch altersgerecht entwickeln. Im Gegensatz zu Gleichaltrigen neigen sie seltener zu Übergewicht.
Was dahinter steckt
Die Ursachen für wählerisches Essverhalten können ganz unterschiedlich sein. Häufig sind es zum Beispiel hochsensible Kinder, die mit der Reizüberflutung neuer Lebensmittel nicht gut umgehen können. In vielen Fällen beginnt das Verhalten in der Autonomiephase, umgangssprachlich „Trotzphase“ genannt. Es kann also auch ein Ausdruck dafür sein, dass die Kinder ihren eigenen Willen entdecken. Sonja Pöhls vertritt die Ansicht, dass Kinder einfach sehr vorsichtig sind: „Kinder sind den evolutionsbiologischen Ansätzen noch ein wenig näher als Erwachsene. Sie überlegen sich ganz genau, ob etwas sicher zu essen ist oder nicht.“
Tipps für Eltern
1. Gelassen bleiben: Wichtig ist, dass Eltern keinen Druck ausüben, sondern trotz möglicher Sorgen entspannt bleiben. Sätze wie „Jetzt probier‘ doch mal!“ oder „Iss wenigstens den Teller leer“ sind nicht hilfreich, sagt Sonja Pöhls: „Ist das Esserlebnis negativ behaftet, macht es das nur noch schwieriger fürs Kind.“
2. Vorbild sein: Kinder lernen durch Nachahmung. „Je häufiger sie sehen, dass andere bestimmte Lebensmittel essen, desto eher probieren sie diese irgendwann selbst“, erklärt Pöhls. Der sogenannte Exposure-Effekt besagt, dass vertraute Lebensmittel mit der Zeit eher akzeptiert werden. Auch unbeliebte Lebensmittel sollte man also immer wieder anbieten.
3. Eigenständigkeit fördern: Eltern können ihre Kinder durch einfache Aufgaben wie Gemüse zu waschen aktiv in die Zubereitung des Essens einbinden. „Wenn sie helfen dürfen, haben sie einen anderen Bezug zu der Mahlzeit und probieren sie eher“, so Sonja Pöhls.
4. Vorsicht beim Versteckspiel: Manche Eltern versuchen, Gemüse zu pürieren und unauffällig unterzumischen – aber das kann nach hinten losgehen. „Für die meisten Picky Eater spielt Konsistenz eine wichtige Rolle“, so die Expertin. Merkt das Kind, dass etwas versteckt wurde, könne es das Vertrauen verlieren.
5. Gespräche über Kita-Essen führen: Oft essen Kinder in der Kita oder im Kindergarten Dinge, die sie zu Hause ablehnen. Es kann helfen, sie danach zu fragen, rät Pöhls: Wie war das Essen? Wie hat es geschmeckt? Wie sah es aus?
Nur eine Phase
Die gute Nachricht für alle betroffenen Eltern: Die meisten Kinder wachsen aus dieser Phase heraus. Zwar gibt es Ausnahmen – solche, die bis ins Erwachsenenalter eingeschränkt essen – doch häufig erweitern die Kinder irgendwann ihre Essensvorlieben. Und so wird aus einem Picky Eater vielleicht doch noch irgendwann ein neugieriger Genießer.