Im Nordwesten - Wenn ich im Einkaufsladen an der Kasse stehe und jemand putzt sich direkt vor mir lautstark die Nase, gehe ich intuitiv einen Schritt zurück. Wenn mein Vordermann dann auch noch mit glasigen Augen müde über sein Taschentuch hinweg ins Leere starrt, mit sichtlicher Sehnsucht nach warmem Bett und heißer Brühe, überkommt mich eine seltsame Mischung aus Mitgefühl und dem Drang, mich selbst vor den Viren des anderen zu schützen. Ehrlich gesagt: Menschen, die erkältet unter Leute gehen, sind mir nicht unbedingt sympathisch – schließlich nehmen sie billigend in Kauf, dass sich die Leute um sie herum anstecken. Und wer weiß, was für eine fiese hartnäckige Grippe das ist? Doch muss ich mir ernsthaft die Frage stellen: Halte ich mich eigentlich selbst immer an dieses ungeschriebene Gesetz, krank zu Hause zu bleiben?
Jetzt kommt für die meisten von uns im nasskalten Herbst und Winter der Tag, an dem wir selbst krank werden. Wir wachen morgens mit verstopfter Nase oder einem Kratzen im Hals auf, der Kopf dröhnt, die Glieder sind schwach, und wir fragen uns, ob jetzt die Erkältung kommt oder ob sie nur antäuscht und wieder verfliegt. Nach dem Frühstück wissen wir mehr.
Doch wenn es dann wirklich so weit ist, dass uns die Nase tropft, die Mandeln anschwellen und die Ohren sausen, ist klar: Heute wird das nichts mit Arbeiten. Und eigentlich sollte klar sein: Das wird auch nichts mit Einkaufen. Allerdings legen wir für uns selbst gern andere Maßstäbe fest als für andere Leute. Während wir also von anderen erwarten, dass sie zu Hause bleiben, wenn sie krank sind, hoffen wir selbst einfach, dass es niemand merkt. Und es ist ja auch nur ein bisschen Schnupfen, nichts Ernstes.
Wenn sie krank sind, denken die meisten Menschen zuerst an sich und dann an andere. Also Schuhe an, Schal bis zur Nase hoch um den Hals gewickelt, schnell in den Supermarkt, denn ganz ohne Suppe geht’s nicht.
Und das ist doch okay, oder? Einkaufen wird doch wohl erlaubt sein? Wir werden schließlich niemandem die Hand geben oder gar einen Kuss. Schnell durch die Gänge, das Nötigste in den Wagen, an der Kasse mit Karte zahlen und das war’s. Wirklich gern macht das sicher keiner. Doch wenn wir ehrlich sind, müssen wir uns eingestehen: Wenn es darum geht, ob wir selbst krank sind oder die anderen, messen wir mit zweierlei Maß.
Wer es vermeiden will, überhaupt aus dem Haus zu müssen, kann in der kalten Jahreszeit am besten immer genug Lebensmittel auf Vorrat haben, die ein paar Tage das Überleben sichern. Außerdem gibt es Lieferdienste. Und es schadet nicht, ein gutes Verhältnis zu den Nachbarn zu pflegen, vor allem weit draußen auf dem Land, wo kaum ein Lieferservice je vorbeikommen würde.
Mir kam neulich beim Spazierengehen jemand entgegen, der mit einem Topf in der Hand die schmale Straße zwischen den Feldern zum nächsten Haus entlang stapfte. Er brachte selbst gekochte Suppe rüber zum erkälteten Nachbarn.