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Mitten in einer Branchenkrise Wie sich Stahlwerke im Nordwesten auf Klimaneutralität trimmen

Volker Kühn
Blick auf das Stahlwerk der Salzgitter AG: Den Weg zur Klimaneutralität müssen die Stahlwerke im Nordwesten inmitten einer Branchenkrise bewältigen.

Blick auf das Stahlwerk der Salzgitter AG: Den Weg zur Klimaneutralität müssen die Stahlwerke im Nordwesten inmitten einer Branchenkrise bewältigen.

dpa/Stratenschulte

Im Nordwesten - Es gibt zwei Gase, mit denen die Stahlindustrie Probleme hat, und ein drittes, das sie lösen soll. Das erste ist Sauerstoff. Er ist im Eisenerz enthalten und muss davon getrennt werden, um es zu Stahl zu verarbeiten. Dazu kommt das Erz bei mehr als 2000 Grad mit Kokskohle in einen Hochofen. Bei diesem Prozess wird allerdings Problemgas Nummer zwei frei – CO2. Und das in großen Mengen: Die Stahlindustrie verursacht ein Drittel des CO2-Ausstoßes der deutschen Industrie.

Doch damit soll zur Jahrhundertmitte Schluss sein. Dann wollen die deutschen Hersteller klimaneutral sein. Und an dieser Stelle kommt Gas Nummer drei ins Spiel – Wasserstoff. Er kann die Kokskohle im Hochofen ersetzen. Statt CO2 entsteht dann nur harmloser Wasserdampf.

Sauberer Wasserstoff statt dreckiger Kohle

„Technologisch ist das kein Problem“, sagt Kerstin Rippel, Hauptgeschäftsführerin der Wirtschaftsvereinigung Stahl. Die knapp 50 deutschen Stahlunternehmen steckten längst inmitten des Umbaus von der traditionellen „Hochofenroute“ auf Kohlebasis hin zur sogenannten Direktreduktion mit Wasserstoff.

Das gilt auch für die nordwestdeutschen Werke. ArcelorMittal in Bremen und die Salzgitter AG zählen gemessen an der Produktionsmenge zur Spitzengruppe in Deutschland. Das Elektrostahlwerk Georgsmarienhütte bei Osnabrück produziert schon heute so CO2-arm wie wenige andere weltweit.

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Volker Kühn

ArcelorMittal stellt die Produktion bis 2032 um

In Bremen beginnt der Umbau 2027/28. Dann wird der kleinere der beiden Hochöfen durch eine Direktreduktionsanlage ersetzt. Parallel soll ein Elektrolichtbogenofen (EAF) in Betrieb gehen, in dem Metallschrott zu neuem Stahl eingeschmolzen wird. Ein zweiter EAF ist ab 2030 geplant, wenn auch der größere Hochofen heruntergefahren wird.

Die Kapazität des Werks von 3,5 Millionen Tonnen Stahl im Jahr bleibe dabei erhalten, sagt Michael Hehemann, Arbeitsdirektor bei ArcelorMittal in Bremen. Die Zahl von derzeit gut 3.100 Mitarbeitenden könne während des Umbauprozesses sogar steigen und werde nach Abschluss nicht wesentlich darunter liegen.


Ob der Bremer Stahl ab 2032 schon komplett grün ist, sei allerdings noch offen. „Das hängt davon ab, wann wir genügend grünen Strom und Wasserstoff zur Verfügung haben.“ Bis es so weit ist, soll Erdgas in der Direktreduktionslage eingesetzt und dann Schritt für Schritt durch Wasserstoff ersetzt werden. Aber auch mit Erdgas könne der CO2-Ausstoß Anfang der Dreißigerjahre schon um mehr als 90 Prozent gesenkt werden, so Hehemann.

In Bremen beginnt der Umbau des Stahlwerks in den nächsten Jahren. (Bild: dpa/Schuldt)

In Bremen beginnt der Umbau des Stahlwerks in den nächsten Jahren. (Bild: dpa/Schuldt)

In Wilhelmshaven könnte ein neues Werk entstehen

Andere Hersteller planen Ähnliches. In Salzgitter läuft der Bau einer Direktreduktionsanlage, die mit einer Wasserstoffpipeline aus Wilhelmshaven versorgt werden soll. Der Konzern spielt zudem eine Anlage zur Produktion von Eisenschwamm in Wilhelmshaven durch, der zur Weiterverarbeitung per Bahn nach Salzgitter käme.

Die Branche muss den Umbau allerdings inmitten einer Krise stemmen. Mit 29 Millionen Tonnen produzierte sie 2023 so wenig Stahl wie seit 2009 nicht. Hohe Energiepreise, eine schwächelnde Nachfrage und Überkapazitäten aus China setzen ihr zu.

Der Staat fördert den Umbau mit Milliarden

Um die heimische Produktion zu sichern, hat der Bund den Umbau mit bislang sieben Milliarden Euro gefördert. Die Hersteller selbst investieren ebenfalls, bei ArcelorMittal in Bremen und Eisenhüttenstadt sind es 2,5 Milliarden Euro.

Es gibt allerdings Ökonomen, die die Hilfen kritisch sehen. Alfons Weichenrieder, Vizechef im wissenschaftlichen Beirat des Finanzministeriums, erklärte, in der Vergangenheit hätten deutsche Unternehmen von Verlagerungen an günstigere Standorte durchaus profitiert.

Zwei Drittel der deutschen Exporte sind stahlintensiv

Stahlverbandschefin Rippel kann das nicht nachvollziehen. Immerhin sichere die Stahlindustrie mit ihren Vorprodukten Jobs in Branchen wie dem Autobau. „Zwei Drittel unserer Exporte sind stahlintensiv, das dürfen wir nicht aufs Spiel setzen.“

Nicht nur an der Stahlindustrie selbst hängen viele Jobs. Auch nachgelagerte Branchen wie der Autobau sind von ihr abhängig. (Bild: dpa/Dittrich)

Nicht nur an der Stahlindustrie selbst hängen viele Jobs. Auch nachgelagerte Branchen wie der Autobau sind von ihr abhängig. (Bild: dpa/Dittrich)

Auch ArcelorMittal-Manager Hehemann will an der Produktion in Deutschland festhalten. Zwar verfüge der Konzern weltweit über Standorte, die teils günstiger mit grüner Energie versorgt werden könnten. Allerdings sei gerade das Bremer Werk eng mit der regionalen Wirtschaft verzahnt, insbesondere mit dem Autobau. „Kundennähe, Produktqualität und der hohe Ausbildungsstand unserer Belegschaft sind Argumente, die klar für Deutschland sprechen.“

Grüner Stahl könne zudem zu einem Wettbewerbsvorteil werden. „In zehn, 15 Jahren wird man CO2-belasteten Stahl kaum noch verkaufen können. Der Umbau sichert damit die Zukunft unserer Werke.“

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