Am 1. September findet in Thüringen die Landtagswahl statt. In Umfragen liegt die CDU als zweitstärkste Kraft hinter der AfD und vor dem BSW. Im Interview spricht CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt über die Stimmung in Thüringen, den Umgang mit AfD und BSW und seine Vision für das Bundesland.

Prof. Dr. Mario Voigt wurde 1977 in Jena geboren. Er ist evangelisch und hat zwei Kinder. Der 47-Jährige hat nach dem Abitur seinen Zivildienst auf der Intensivstation des Universitätsklinikums Jena absolviert. Studiert hat Voigt Politik, Neuere Geschichte und Öffentliches Recht in Jena, Bonn und den USA. Er promovierte und forschte auf dem Gebiet der digitalen Transformation, wie er in einem Wahlflyer angibt.
Luise Charlotte BauerWie würden Sie die Stimmung in Thüringen momentan beschreiben?
Mario VoigtDie Menschen wünschen sich politische Veränderung, dass es wieder geordnet zugeht und dass Thüringen wieder in vernünftiges Fahrwasser kommt. Sie haben die Nase voll von der Politik der Ampel in Berlin. Aber sie wollen natürlich auch, dass es um Thüringen geht und unser Land wieder stabil und vernünftig regiert wird. Die Thüringer wollen eine neue Politik: nicht rechts, nicht links, sondern nach vorn.
Sie sagen, die Thüringer wollen keine Politik von rechts oder links. Dennoch liegen AfD und BSW in Umfragen sehr gut. Die AfD liegt demnach etwa neun Prozent vor der CDU und das BSW hat nur einen geringen Rückstand von zwei Prozent auf Ihre Partei. Zusammen kommen AfD und BSW auf 49 Prozent der Wählerstimmen. Was veranlasst Sie zu dem Schluss, die Thüringer wollen keine rechte oder linke Politik?
VoigtAm Ende drücken diese Umfragen vor allem den Frust über die Ampel in Berlin und die linksgrüne Landesregierung in Erfurt aus. Die Menschen in Thüringen denken aber in ihrer übergroßen Mehrheit nicht extrem, im Gegenteil, sie sehnen sich nach einer Veränderung hin zu mehr Vernunft und Stabilität. Und die gibt es nur mit der CDU. Das zu vermitteln, ist unsere Aufgabe.
Haben Sie das Gefühl, dass die Bundespolitik die Themen hier vor Ort überlagert?
VoigtDie Bundespolitik beeinflusst die Stimmung, aber die Probleme hier sind die realen. Jede zehnte Schulstunde fällt aus. Wir haben ein massives Problem mit der medizinischen Versorgung. Das betrifft die Kliniken, aber auch die Hausärzte. Da gibt es kaum Termine. Die Wirtschaft wird durch Bürokratie und Belastungen erdrückt. Das sind sehr konkrete Thüringen-Themen, wo die Menschen Veränderung wollen.
Das BSW und die AfD erscheinen gerade den unzufriedenen Wählern momentan attraktiv. Wie wollen Sie gegensteuern?
VoigtDie CDU hat gerade bei der Kommunalwahl gezeigt, dass sie ein gutes Rezept hat, indem wir die konkreten Antworten für die Probleme hier vor Ort liefern. Es ist eine Thüringenwahl, man darf das nicht unterschätzen. Nah dran zu sein, auch mal Bürger-Gesprächsformate zu finden, das ist ganz wichtig, damit die Menschen wieder spüren, dass sie ernst genommen werden. Und wir müssen als CDU deutlich sagen, wir sind die Einzigen, die tatsächlich auch eine Regierung bilden können. Durch die Verantwortung, die wir in der Breite in den Kommunen haben, können wir die Dinge auch umsetzen, die wir versprechen. Das unterscheidet uns von den anderen.
Die AfD ist mittlerweile etabliert und hat bei vorherigen Wahlen Protestwähler überzeugen können. Bis jetzt ist es noch nicht wirklich gelungen, diese Wähler „zurückzuholen“. Was ist bei dieser Wahl anders, dass das zumindest in Teilen gelingen könnte?
VoigtDer Trend für uns bewegt sich in die richtige Richtung. Anfang des Jahres war der Abstand noch zehn Prozent, jetzt sind es fünf Prozent. Und wir spüren auch, dass die Leute mittlerweile wahrnehmen, dass die AfD innerlich zerstritten ist und nur Probleme beschreibt, aber keine Lösungen präsentiert. Die Auseinandersetzung in Thüringen lautet CDU oder AfD.
Wie ordnen Sie das BSW ein? Ist es ein ernst zu nehmender Gegner?
VoigtMan darf keinen unterschätzen. Aber das BSW ist ja momentan eine wild zusammengewürfelte Truppe, die das Ziel eint, in den Landtag einzuziehen, ohne jedoch eine in sich geschlossene inhaltliche Idee zu haben. Da weiß die eine Hand nicht, was die andere tut. Die Spitzenkandidatin in Thüringen hat jetzt gesagt, sie könne sich vorstellen, Rot-Rot-Grün zu unterstützen. Das ist nicht der politische Wechsel, den sich die Menschen hier im Land wünschen. Und was man auch feststellt: Das BSW tritt nur in fünf Wahlkreisen direkt an. Da scheint auch gar kein Interesse da zu sein, sich um die konkreten Probleme vor Ort zu kümmern.
Aber trotzdem schließen Sie eine Zusammenarbeit mit dem BSW nicht aus.
VoigtFür mich ist im ersten Schritt wichtig, dass die CDU als stärkste Fraktion auch einen Regierungsauftrag hat und dann die Themen definiert. Also Unterricht statt Ausfall, keine illegale Migration, die Durchsetzung von Recht und Sicherheit, das Leben der Menschen wieder einfacher machen, weniger Bürokratie, damit die Wirtschaft wieder wächst und Leistung sich lohnt. Wer sich diesen Punkten verpflichtet fühlt, mit dem können wir über Koalitionen reden.
Mit der Linken gibt es den Unvereinbarkeitsbeschluss, mit dem BSW hingegen nicht. Nun hat sich das BSW aus der Linken entwickelt. Wo ist da der Unterschied?
VoigtZuerst einmal gilt: Die Linke hier in Thüringen ist nach zehn Jahren Regierungsverantwortung tief zerstritten und kraftlos. Die Menschen wünschen den politischen Wechsel. Das BSW ist wie gesagt eine wild zusammengewürfelte Truppe. Da sind Leute dabei von der SPD, Leute die mal Unternehmer waren, Leute die mal bei den Linken waren. Da gibt es keinen in sich geschlossenen Kern, die Partei definiert sich vornehmlich über ihre Gründerin. Das BSW hat in Thüringen nur 45 Parteimitglieder. Wir hatten 4500 Kandidaten für die Kommunalwahl. Man muss diese Basis haben, um im Land etwas bewegen zu können.
Der jetzige Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) hat zum Beispiel die stockende Mitgliedsaufnahme des BSW kritisiert. Wie beurteilen Sie das?
VoigtMich interessiert gar nicht, was andere Parteien für interne Probleme haben. Mir geht es darum, was die Themen der Thüringer sind, denn meine Koalitionspartner sind die Bürger. Mit denen will ich was für dieses Land erreichen. Und deswegen kümmere ich mich um die Frage, wie wir wirtschaftlich wieder nach vorne kommen. Wir wollen eine Acht-Wochen-Genehmigungsfiktion einführen. Das heißt: Nach acht Wochen gelten Anträge vom Bürger oder von Unternehmen automatisch als genehmigt, wenn sie bis dahin nicht bearbeitet wurden. Wir wollen dafür Sorge tragen, dass in Thüringen wieder Kopfnoten gegeben werden und die Kinder nach der Grundschule lesen, schreiben und rechnen können. Wir wollen bei Recht und Ordnung Dinge durchsetzen wie Videoüberwachung auf öffentlichen Plätzen und Bodycams.
Bei einem Wahlkampftermin haben wir viel über das Problem des Lehrermangels gehört. Welche Möglichkeiten sehen Sie für die Landespolitik da einzugreifen? Man kann den Leuten ja nicht vorschreiben, was sie studieren.
VoigtEs ist viel verschlafen worden unter Rot-Rot-Grün. Wir hatten in Thüringen 2014 weniger Schüler, aber mehr Lehrer, als wir heute haben. Es beginnt damit, dass wir jungen Menschen auch unmittelbar ein Jobangebot machen. Wenn Sie das zweite Staatsexamen bestehen, sollen sie eine Übernahmegarantie in Thüringen haben. Dadurch wissen sie, dass es sich lohnt, sich anzustrengen und hier zu bleiben. Ansonsten werden viele nach Niedersachsen oder nach Hessen abgeworben. Das Zweite ist, dass wir auch gerade für die unterversorgten Regionen im ländlichen Raum mehr Lehrer gewinnen. Das kann man mit Anreizen schaffen. Die linke Landesregierung hat bei diesem Thema völlig versagt.
Wäre es dann sinnvoll, dass sich die Bundesländer zusammentun und sagen „Wir bilden einen festen Bewerberpool, aus dem wir alle die Fachkräfte auswählen“ oder einen festen Einstellungstermin vereinbaren?
VoigtDas sollte die Hoheit der Bundesländer bleiben. Aber Thüringen muss sich einfach mehr anstrengen. Das ist das Ziel.
Wir haben auch gehört, dass es beim Lehrermangel Unterschiede bei den Fächern gibt. Ein Jobangebot gilt aber erst mal für alle Fächer und geht nicht spezifisch auf die Bedarfe ein.
VoigtDas Ziel ist natürlich, dass wir im Blick haben, wo besondere Bedarfe bestehen. Wir haben massiven Notstand in den Grundschulen. Es gibt in Thüringen 300 Ausbildungsplätze für Grundschullehrer, aber jedes Jahr 900 Bewerber. Daran sehen sie, dass wir Potenziale haben, die wir momentan noch nicht heben.
Es gibt nicht nur ein Lehrermangel, sondern ein Fachkräftemangel generell. Auf der anderen Seite ist Migration ein großes Thema. Wie bekommt man beides gewinnbringend unter einen Hut?
VoigtMan muss einfach den Menschen sagen, wie es ist: Es gibt Asylbewerber, die haben besondere Schutzgründe. Dann gibt es Menschen, die wollen gerne hier als Fachkräfte arbeiten. Die bewerben sich in einem besonderen Verfahren. Und dann gibt es Leute, die wünschen sich ein besseres Leben. Insofern muss man das konsequent voneinander unterscheiden. Wir sind ein weltoffenes Land. Aber wir hängen nicht die Tür zu unserer Wohnung aus, sondern wir entscheiden, wer zu uns kommt und wie viele. Notwendig sind Sachleistungen statt Geldleistungen, um nicht die falschen Anreize zu setzen. Asylbewerber in Gemeinschaftsunterkünften müssen gemeinnützige Arbeit leisten und können dadurch auch sichtbar etwas zurückgeben. Für diejenigen, die abgelehnt werden, schaffen wir ein Thüringer Rückführungszentrum. Ein weiterer entscheidender Punkt ist die Anerkennung von Fachkräften. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Bei der medizinischen Versorgung ist es so: Für denjenigen, der von außerhalb Deutschlands kommt und seine Berufsqualifikationsanerkennung hier in Thüringen macht, dauert diese über 225 Tage. Das ist einfach zu lang. Das wollen wir standardisieren und beschleunigen, so wie in anderen Bundesländern auch.
Wie ordnen Sie das neue Einwanderungsgesetz ein?
VoigtDas Chancen-Aufenthaltsgesetz ist schwierig. Denn im Kern lautet die Botschaft: Egal, wie du nach Deutschland gekommen bist, du darfst hier bleiben. Das sehe ich anders. Wir müssen wissen, wen wir brauchen. Denn es gibt viele, die sich über den regulären Weg bewerben: Sie zahlen Visagebühren, reichen ihren Lebenslauf ein, haben einen Nachweis von einem Unternehmen, das auf sie wartet. Gleichzeitig gibt es andere, die wir nicht notwendigerweise brauchen.
Wenn man jetzt von den Fachkräften absieht, sondern generell das Thema Migration aufmacht, ist die Frage: Wie mit dem Thema umgehen?
VoigtRecht muss wieder konsequent durchgesetzt und Maßstäbe klarer formuliert werden. Für uns als CDU heißt das: Wir machen die Anerkennung in sicheren Drittstaaten außerhalb der Europäischen Union. Das Zweite ist, dass die Menschen zu Recht erwarten, dass Sozialleistungen nur in einem überschaubaren Maße gezahlt werden. Das bedeutet auch, dass es kein Bürgergeld geben darf für Ukrainer, weil das die falschen Anreize setzt. Die CDU hat da auch nicht immer alles richtig gemacht, aber wir haben aus unseren Fehlern gelernt. Aber wenn man da wieder zu einer konsequenten Linie kommt, funktioniert das auch. Und die Maßnahmen wirken ja. Die Grenzkontrollen, die in Bayern, in Sachsen oder in Brandenburg eingeführt worden sind, haben dazu geführt, dass die Zahlen runtergegangen sind. Wir müssen die illegale Migration stoppen.
Sie sehen haben die Drittstaatenlösung angesprochen. Am Beispiel des Ruanda-Abkommens in Großbritannien sieht man aber, dass die Drittstaatenlösung nicht so funktioniert wie gewünscht.
VoigtNach dem Regierungswechsel in Großbritannien hat die neue Regierung das Anlaufen gestoppt. Dänemark und Italien arbeiten aber weiter an der Drittstaatenlösung. Und in gewisser Weise hatten wir das ja schon mal – auch das Türkei-Abkommen hat ja nichts anderes bedeutet, als Menschen in der Türkei unterzubringen. Das ist schon auch ein Weg, den man im Blick behalten sollte.
Sie sprechen das Abkommen mit der Türkei an. Da haben wir ja aber auch gesehen, dass wir uns da in Abhängigkeiten begeben haben. Ist das nicht ein Risiko?
VoigtEs geht nicht um die Türkei, sondern um das Prinzip, und das ist nach vor richtig.
Noch mal zur AfD: Sie haben sich Björn Höcke im TV-Duell gestellt. Wie fällt Ihr persönliches Fazit für dieses TV-Duell aus?
VoigtIch bekomme sehr viele positive Rückmeldungen hier in Thüringen. Die Menschen haben gesehen: Die CDU ist die einzige Partei, die Höcke stoppen kann. Wir als CDU wollen dafür Sorge tragen, dass unser Heimatland in vernünftiges Fahrwasser kommt. Das ist etwas, was sich viele Menschen wünschen.
Sollte man häufiger solche Formate mit der AfD durchführen?
VoigtIch stelle mich jeder Debatte. Ich versuche meinen Kindern beizubringen, Probleme direkt anzugehen. Und das muss in der Politik auch immer gelten.
Bringt es etwas, die AfD inhaltlich zu stellen? Wir wissen Teile der AfD sind rechtsextrem. Das scheint einige Wähler jedoch nicht abzuhalten. Spielen die Inhalte wirklich eine Rolle?
VoigtDie Inhalte spielen eine große Rolle. Die Menschen erwarten, dass unsere Argumente besser sind als deren populistische Sprüche. Deswegen müssen wir auch liefern. Es darf kein Ausweichen geben.
Ricarda Lang hat als Grünen-Chefin mit Blick auf mögliche Mehrheitsbildungen davor gewarnt, die Grünen zu verteufeln und als Buhmann darzustellen. Wie ordnen Sie das ein?
VoigtRicarda Lang sollte sich mehr um eine vernünftige Politik auf Bundesebene kümmern. Denn das ist es, was die Menschen momentan nervt. Dass die Ampel einfach weitermacht und Robert Habeck erklärt, das Heizungsgesetz war nur ein Test. Das sind alles Dinge, die Frust produzieren. Keiner braucht große Demokratievorträge. Es geht darum, bessere Politik zu machen.
Hat es der CDU auf Bundes- und Landesebene gutgetan, in der Opposition zu sein?
VoigtIn der Opposition kann man aus eigenen Fehlern lernen. Die Bundestagswahl 2021 ging ja nicht deshalb verloren, weil die anderen ein so gutes Angebot hatten, sondern weil wir so viele Fehler gemacht haben. Wir hier in Thüringen haben das gemacht. Wir sind jetzt bereit, Verantwortung zu übernehmen. Das wird für die CDU bei der Bundestagswahl auch so sein.