Im Nordwesten - Alles, was für sie im Leben zählt, sind diese gelblichen Steine. Wer süchtig ist nach diesen Bröckchen, kann an nichts anderes denken als daran, wo er den nächsten herbekommt. Sie sind so klein, dass sie in eine winzige Pfeife passen und beim ersten Zug daran machen sie ein leise krachendes Geräusch, das ihnen ihren Namen gab: Crack. Die Droge, die lange nur aus größeren Städten wie Hamburg, Frankfurt oder Berlin bekannt war, ist auch im Nordwesten auf dem Vormarsch. In Emden, Wilhelmshaven, Delmenhorst und auch in Oldenburg gibt es eine Szene von Suchterkrankten, die es noch vor fünf Jahren nicht gab.
Die Straßenszene
In Oldenburg kennt keiner die Straßenszene der suchterkrankten Menschen so gut wie Daniel Gargiulo. Der 43-Jährige ist Einrichtungsleiter im Café Caro, dem Ort, an dem Menschen mit Suchterkrankungen, zum Teil wohnungslos, ein warmes Essen bekommen, ein offenes Ohr und Verständnis für ihre Situation. An der Heiligengeiststraße treffen sich seit Ende der 1970er Jahre Leute, die von Heroin, Alkohol oder Medikamenten abhängig sind. Und seit die Corona-Pandemie die Welt verändert hat, sind auch suchterkrankte Menschen dabei, deren Droge Crack ist.
Crack ist mit Natron aufgekochtes Kokain – so entstehen die Steinchen. „Hier im Café Caro haben wir unter unseren Stammklienten rund 30 Menschen, die regelmäßig Crack konsumieren. Das ist eine ganze Menge“, sagt Daniel Gargiulo. „Dazu kommen die, die nicht herkommen.“

Corinna Heinemann ist stellvertretende Abteilungsleitung bei der Paritätischen Suchthilfe Niedersachsen in Hannover und zuständig für den Bereich niedrigschwellige Hilfen. Dazu gehört auch das Café Caro in Oldenburg, das von Daniel Gargiulo geleitet wird.
Sandra BinkensteinMehr Kokain
Was sich im Vergleich zu vor der Pandemie verändert habe, sei vor allem die Verfügbarkeit von Kokain. „Wir haben das Gefühl, dass jetzt mehr Kokain auf dem deutschen Schwarzmarkt ist als noch vor fünf Jahren“, sagt Daniel Gargiulo. Für schwer suchtkranke Menschen sei das ein Problem. Es gab schon immer Abhängige, die sich Kokain intravenös spritzen und so mit weniger finanziellem Einsatz einen stärkeren Rausch erzeugen. Doch wer das Kokain mit Natron zu einem kleinen Stein aufkocht und in der Pfeife raucht, hat mit noch weniger Geld eine noch heftigere Wirkung. „Es ist billig und es ist stark“, sagt Daniel Gargiulo. Und es ist gefährlich, nicht nur, weil es extrem abhängig macht, sondern auch, weil die Wirkung schnell wieder verpufft.
Der Teufelskreis
Für die suchterkrankten Menschen bedeute das einen qualvollen Teufelskreis, der sich Tag für Tag wiederhole, sagt Corinna Heinemann. Die 37-Jährige ist in der Paritätischen Suchthilfe Niedersachsen für die niedrigschwelligen Angebote zuständig, dazu gehört auch das Café Caro in Oldenburg. „Man muss sich das so vorstellen: Die Menschen rauchen einen Crack-Stein und nach wenigen Minuten ist der Rausch vorbei. Doch weil beim Crack-Konsum alle Glückshormone auf einmal ausgeschüttet werden, ist die körpereigene Reserve danach leer und die Leute fühlen sich total elend. Für sie ist der einzige Ausweg, wieder zu konsumieren.“ Und so seien die suchterkrankten Menschen rund um die Uhr damit beschäftigt Geld zu besorgen, Stoff zu besorgen und zu konsumieren. Danach geht es wieder von vorne los. „Das macht es auch so schwer, diesen Menschen zu helfen. Auch sie wollen sich um ihre Bürgergeld-Anträge oder um die Krankenversicherung kümmern“, sagt Corinna Heinemann. „Doch in ihrer Realität müsste das alles in einer Minute passiert sein, damit es in ihren Tagesablauf passt.“

Crack wird in Pfeifen geraucht.
Boris Roessler/DPADie Sucht
Menschen mit Crack-Abhängigkeit sind getrieben, gehetzt, schlafen und essen kaum. Wer diese Menschen erlebt, dem wird schnell klar, dass das für niemanden ein Vergnügen sein kann. „Wenn die Suchterkrankten die Wahl hätten, würden sie aufhören. Keiner von ihnen genießt das Leben, so wie es für sie ist“, sagt Corinna Heinemann. Und dennoch halte sich in der Gesellschaft hartnäckig die Vorstellung, suchtkranke Menschen seien selbst schuld und könnten jederzeit ein neues Leben beginnen. Doch so einfach ist das nicht. „Jemand, der Kokain, Heroin oder auch Crack konsumiert, hat einen Grund dafür“, sagt Corinna Heinemann. Das seien häufig psychische Erkrankungen oder Traumafolgeschäden. Es müsse endlich gesellschaftlich anerkannt werden, dass Suchterkrankungen so wie psychische oder körperliche Krankheiten nicht einfach eine Charakterschwäche seien.
Für Crack-Konsumenten sei es aber besonders schwer, von ihrer Droge wegzukommen, sagt Daniel Gargiulo. „Es gibt dafür kein Substitut wie für Heroin. Natürlich gibt es Therapien. Aber bevor die Konsumenten sich darum kümmern, müssen sie meistens noch schnell etwas erledigen: noch einen letzten Stein besorgen. Nach dem Crack ist vor dem Crack.“
Die Paritätische Suchthilfe bietet als größter Träger von Suchthilfe in Niedersachsen Präventionsangebote, niedrigschwellige Hilfen im Alltag und Therapieangebote.
Was alle Städte im Nordwesten aus Sicht von Corinna Heinemann außerdem bräuchten, seien Konsumräume: In ganz Niedersachsen gibt es dieses Angebot nur in Hannover. Nur dort können die mitgebrachten Substanzen in einem sichereren Rahmen konsumiert und die Suchterkrankten gleichzeitig mit Beratungsangeboten erreicht werden.
Die Entkriminalisierung von Konsumierenden würde aus Sicht von Corinna Heinemann dazu beitragen, dass den Menschen, die süchtig sind, besser geholfen werden könne. „Den Konsum von Substanzen gab es immer und es wird ihn immer geben. Aber wenn wir ihn verbieten, unterstützen wir damit die organisierte Kriminalität und drängen Menschen an den Rand der Gesellschaft, die eigentlich staatliche Unterstützung bräuchten.“

Ein Crack-Stein ist so klein, dass er in eine Haschpfeife passt. Die Wirkung hält nur einige Minuten lang an.
Jeffrey Arguedas/DPA