Emden - Der Ärztemangel in Ostfriesland nimmt immer drastischere Ausmaße an. Inzwischen werden nicht nur Fachkräfte, sondern auch Hausärzte knapp. Ein Emder, der seit 2021 erfolglos versucht, eine feste Anlaufstelle zu finden, ist Harald Kokott. Inzwischen kontaktiere er aus der Not heraus seine alte Hausarztpraxis in Ingolstadt, wenn er oder seine Frau Rezepte benötigen, teilte er gegenüber dieser Redaktion mit. Berichte über Ärztemangel erreichen die Redaktion immer wieder – und die Hausarztquote sinkt immer weiter.
Kein Hausarzt, kein Zahnarzt
Harald Kokott stammt aus Bayern, seine Frau Gabriele Francescon hingegen stammt gebürtig aus Emden. 30 Jahre war sie der Seehafenstadt fern, lebte bei ihrem Mann in Süddeutschland. Nun, im Rentenalter, zog es die beiden Mitte-60er nach Emden. Auch, weil seine 84-jährige Schwiegermutter noch in der Seehafenstadt lebe, erzählt Kokott. Das Leben hier wäre auch schön, findet Kokott, wenn es nicht den Ärztemangel gebe. Er habe keinen festen Hausarzt, er habe keinen festen Zahnarzt. Fachärzte gäbe es schon gar nicht. Die nächsten praktizierten in Bunde, Leer, Aurich, Oldenburg. Selbst bis nach Hannover habe ihn der Ärztemangel schon gezwungen. „Uns nimmt keine Arztpraxis auf.“ Und, selbst wenn er ohne Termin zum Arzt gehe und es ins Wartezimmer schaffe, bleibe er dort sitzen, erzählt der 66-Jährige. „Ich bin echt am Verzweifeln.“
Als er Zahnschmerzen hatte, sei er in einer Praxis mit einer Packung Schmerztabletten heimgeschickt worden. Als seine Schwiegermutter aufgrund einer Bakteriumsinfizierung ihren Hausarzt aufsuchen wollte, landete sie erst beim Vertretungsarzt, der sie wiederum ins Emder Klinikum schicken wollte. Von dort sei es dann nach Oldenburg zur Operation gegangen. „Wenn wir nicht gewesen wären, wie hätte eine 84-Jährige das stemmen sollen“, fragt Kokott. „Und das sind nur zwei Beispiele, ich könnte ein ganzes Buch schreiben.“
Hausarztmangel soll Sitzungsthema werden
Der Versorgungsgrad einer Region bemisst sich zwischen dem Ist-Niveau des tatsächlichen Einwohner-Arzt-Verhältnisses sowie dem Soll-Niveau dieses Verhältnisses.
Der Versorgungsgrad wird in Prozent ausgedrückt. Mit ihm lässt sich die Versorgung einer Region bewerten.
Zuständig für die Bewertung sind die Landesausschüsse der Ärzte und Krankenkassen pro Arztgruppe und Region.
Der ermittelte Versorgungsgrad ist die Grundlage dafür, ob sich in einem Planungsbereich zusätzliche Ärzte niederlassen können.
Angestrebt wird ein Versorgungsgrad zwischen 100 und 110 Prozent. Zwischen 75 und 100 Prozent ist die Rede von einer „drohenden Unterversorgung“. Unter 75 Prozent gilt eine Region als „unterversorgt“.
Offenbar kein Einzelfall. Ratsherr Erich Bolinius (FDP) kennt den Fall einer Frau aus Kassel, die vierteljährlich in die alte Heimat fährt, um sich dort benötigte Medikamente verschreiben zu lassen. In einem anderen Fall solle ein potenzieller Arbeitnehmer seine Stelle in Emden nicht angetreten haben, weil er bereits im Vorfeld eines notwendigen Umzugs am Versuch scheiterte, für sich und seine Familie einen Hausarzt zu finden. Der Ärztemangel verschärft in diesem Fall den Fachkräftemangel.
Eine Sorge, die die FDP in der anstehenden Sitzung des Gesundheitsausschusses am Mittwoch, 15. Mai, in die Politik bringen will, kündigt Bolinius an. Außerdem fordert der FDP-Chef einen aktuellen Sachstandsbericht der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN) im übernächsten Gesundheitsausschuss am 19. Juni.
Zuletzt hatte Dieter Krott, Geschäftsführer der KVN in Aurich, darauf hingewiesen, dass der aktuelle hausärztliche Versorgungsgrad, der bei 100 Prozent liegt, und im Optimalfall bei 110 Prozent liegen sollte, in den nächsten zehn Jahren wohl auf 70 Prozent absinken wird. Dann wird es noch deutlich schwerer, einen Hausarzt zu finden.