Hier eine Aufforderung zu patriotischem Handeln, dort eine Deutschlandfahne – Kinder und Jugendliche sollen durch extremistische Propaganda auf Online-Plattformen wie Tiktok und Youtube schrittweise radikalisiert werden. Davor warnt die Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz. Rund 950 Verstoßfälle hat das gemeinsame Kompetenzzentrum von Bund und Ländern für den Jugendschutz im Internet, jugendschutz.net, im Jahr 2022 bearbeitet, die dem politischen Extremismus angehörten. Etwa 135 der Verstöße fanden sich auf Youtube oder Tiktok.

In einer Studie des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest für das Jahr 2022 gaben 43 Prozent der Befragten Zwölf- bis 19-Jährigen an, im letzten Monat mit extremen politischen Ansichten und Verschwörungstheorien konfrontiert gewesen zu sein. Wie sind solche Inhalte einzuschätzen, zu erkennen und was können Eltern tun?

Zur Person

Dr. Antje Gansewig ist Soziologin und Literaturwissenschaftlerin. Seit 2013 war sie unter anderem beim Landespräventionsrat Schleswig-Holstein, am Nationalen Zentrum für Kriminalprävention sowie für die Bundeszentrale für politische Bildung tätig. Sie promovierte an der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg zum Thema „Aussteiger*innen aus rechtsextremen Bezügen in der schulischen Präventions- und politischen Bildungsarbeit“. Zu ihren Arbeitsschwerpunkten gehören ebenso Evaluationsforschung, Extremismus und Extremismusprävention sowie politische Bildung.

Wie sieht extremistische Propaganda auf Youtube oder Tiktok aus?

Dr. Antje GansewigAuf diesen Plattformen kursiert in erster Linie subtile Propaganda. In den Postings werden extremistische Inhalte – etwa als kurze Videos mit Musikuntermalung oder Situationskomik – mit Elementen wie Humor und Emotionen bedacht in Szene gesetzt. Es werden bündige und einfache Botschaften für komplexe Themen geliefert, etwa die LGBTIQ*-Bewegung, den Klimawandel oder den Ukraine-Krieg. Die extremistische Ideologie wird sozusagen nebenher vermittelt.

Was ist an derartigen Inhalten besonders problematisch?

GansewigSocial Media-Angebote dienen nicht nur zur Unterhaltung, sondern auch als Informationslieferanten und Orientierungspunkte. Populistische, propagandistische und extremistische Inhalte können entsprechende Meinungen bilden oder verstärken. Hinzu kommen algorithmische Empfehlungssysteme, Influencing, Filterblasen, Echokammern oder Schweigespiralen. All das kann in Radikalisierung münden und die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen oder ihre Erziehung zu eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten beeinträchtigen oder gefährden.

In einer bunten 2D-Spielewelt mit einer 16-Bit-Pixel-Grafik wird beim Computerspiel „The Great Rebellion“ mit unterschiedlichen Waffen auf Gegner geschossen. Der Nachfolger des indizierten „Heimat Defender: Rebellion“ ist am 1. Februar erschienen.

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Arne Jürgens
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Warum sind gerade Online-Plattformen wie Youtube oder Tiktok für Leute interessant, die extremistische Propaganda verbreiten wollen?

GansewigDiejenigen, die solche Inhalte posten, verfolgen drei Ziele: erstens die öffentliche Verbreitung ihrer Botschaften und Inhalte, zweitens die Vernetzung der Sympathisanten und drittens die Rekrutierung neuer Anhänger. Durch das gegenseitige Kommentieren und Teilen wird eine Form des Gemeinschaftsgefühls geweckt – ein elementares Bedürfnis vor allem von jungen Menschen. Dieses Gefühl kann die Tür für weitere Kontakte und Angebote extremistischer Akteure öffnen.

Welche Nutzergruppen sollen angesprochen werden?

Gansewig Jeder Nutzer ist willkommen, den entsprechenden Inhalt zu rezipieren, zu kommentieren und weiterzuverbreiten. Natürlich gibt es auch Angebote, die gezielt für ein junges Publikum erstellt werden. Hier wird bewusst an deren Lebenswelten angeknüpft und etwa mit Liedern emotionalisierend gearbeitet. Diese Songs haben dann zum Beispiel menschenverachtende Texte. Besonders bei Heranwachsenden besteht eine besondere Gefahr, dass sie menschenverachtende und antidemokratische Ansichten und Verhaltensformen unreflektiert übernehmen.

Teilnehmer einer Demonstration gegen Rechtsextremismus und die AfD bilden eine Menschenkette vor dem Haupteingang zum Niedersächsischen Landtag.

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Tim Rosenau Dpa
Im Nordwesten

Was tue ich, wenn ich solche Inhalte erkenne?

GansewigIn der Regel gibt es die Möglichkeit den fraglichen Inhalt direkt zu melden. Außerdem existieren offizielle Melde- und Beschwerdestellen, etwa jugendschutz.net. Die eingegangenen Meldungen werden dort juristisch geprüft. Sollte ein Verstoß gegen Strafgesetze oder Jugendmedienschutzgesetze vorliegen, werden weitere Schritte eingeleitet: etwa Verbreitungs- und Werbebeschränkungen, Indizierung und Löschung des Inhalts.

Kommentar
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Was kann ich als Elternteil tun?

Gansewig Für Eltern sind drei Punkte besonders relevant: Erstens sollten die technischen Kontroll- und Schutzoptionen des jeweiligen Social Media-Angebots aktiviert sein. Zweitens sollte man sich zunächst selbst einen Überblick verschaffen, was es für aktuelle Entwicklungen gibt, wie man extremistische Inhalte erkennen und was man dagegen tun kann. Hierfür gibt es zahlreiche Angebote extra für Eltern, etwa den Elternguide.online. Drittens sollte man stets im offenen Gespräch mit dem Kind sein, ihm zuhören und sich auch Videoclips zeigen lassen, für die das Kind sich aktuell begeistert. Sollte man den Eindruck erhalten, dass man keinen Zugang mehr zum Kind bekommt, weil es vielleicht schon mit entsprechenden Ansichten sympathisiert, gibt es gute Ansprechstellen, die weiterhelfen können, wie beispielsweise das Landes-Demokratiezentrum Niedersachsen.

Daniel Kodalle
Daniel Kodalle Thementeam Soziales